Härtling, Peter
ihren Rückzug nur abgewartet, denn jetzt betritt er die Szene, genauer gesagt, er tritt in die Tür, die die Haushälterin offengelassen hatte, räuspert sich und befiehlt kurzentschlossen: Dieses Möbel, Monsieur Hölderlin, sollte spätestens in einer halben Stunde im Salon meines Bruders stehen. Ich rechne damit, daß Sie dem Lakaien beim Transport helfen.
Aber wieso?
Es wird gebraucht.
Weshalb bis jetzt nicht?
Es ist ein Erbstück und gehörte eigentlich gar nicht auf Ihre Kammer.
Ich hänge daran.
Es gehört Ihnen nicht.
Nein, es gehört mir nicht.
Also ich bitte Sie –
Sollte man nicht Madame fragen?
Madame wird in dieser Angelegenheit nicht behelligt.
Ich verstehe –
Was verstehen Sie, Monsieur?
Diese –
Gontard tritt einen Schritt in die Stube hinein, spannt sich: Was wollen Sie sagen?
Ich wollte, Herr Gontard, sagen: Diese Entscheidung.
Gontard kehrt sich abrupt ab, geht.
Er räumt die Schubladen aus, legt die Papiere in säuberlichen Stapeln aufs Bett. Der Lakai ruft vom Flur, er solle ihm gefälligst helfen.
Der neue Tisch ist sperrig, viel zu groß für das kleine Zimmer. Dann tragen sie »seinen« Tisch durch das Haus, die Treppe hinunter. Gontard-du Bosc erwartet sie, weist an, wo das Möbel stehen solle. Hölderlin verläßt den Salon ohne ein Wort.
Er wird an dem neuen Tisch einige Tage nicht arbeiten können. Er hat keine Schubladen mehr, in denen er seine Manuskripte verwahren kann. Henry fragt verblüft: Wo ist dein Schreibtisch?
Und Hölderlin, den verwunderten Ton nachahmend, fragt ebenfalls: Wo ist mein Tisch? Wo ist mein Stuhl? Wo ist mein Haus?
Henry läßt sich nicht ablenken. Hölderlin erklärt ihm, sein Onkel, Monsieur Gontard-du Bosc, habe ihn dringend gebraucht.
Aber der Onkel braucht doch keinen Schreibtisch.
Oh, er weiß schon, was er getan hat.
Henry ruft Susette, die freilich von dem Tischetausch schon weiß. Haben sie denn keinen besseren finden können, fragt sie.
Es ist ein Anschlag auf mein Befinden, sagt er.
Nehmen Sie es als Bagatelle, Hölder.
Müßte ich alle Bagatellen sammeln …
Ich bitte Sie, über den häßlichen Vorsatz hinweg-zusehen.
Soll ich denn blind werden?
Henry beginnt zu lachen. Du bist komisch, Hölder.
Begleitest du mich in den Garten? Er nimmt den Buben an der Hand, entschuldigt sich für seine Laune.
Susette wischt, nachdem die beiden gegangen sind, mit einem Taschentuch über die staubige, rissige Tischplatte.
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VII
Vorahnungen
Auch Hegel begann mißmutig zu werden. Anfangs hatte er die Gogels und deren Freunde nur gelobt, rasch Bekanntschaften geschlossen, mit ihnen renommiert, doch inzwischen wurde ihm der Betrieb zu viel, der ihn von seiner Arbeit ablenke, zu nichts und wieder nichts führe. Die beiden hatten sich seltener getroffen. Hölderlin entfernte sich kaum mehr aus dem Haus, und Hegel ängstigte sich vor den »krankhaften Anwandlungen« seines Freundes, dem seiner Meinung nach nicht zu helfen sei. Die politischen Ereignisse führten sie wieder zusammen. Im März 1798 war der Württembergische Landtag nach zwanzigjähriger Suspendierung erneut zusammengetreten. Herzog Friedrich Eugen wollte mit seiner Hilfe Steuern festlegen und für eine Verteilung der Kriegslasten sorgen. Die Stimmung im Land war gereizt. Man hatte genug von der harten österreichischen Besatzung, genug von den Eigenmächtigkeiten des Fürstenhauses. Abgesandte des Direktoriums in Paris schürten die republikanischen Hoffnungen. Sie hatten ohnehin Anhänger und Freunde und fanden neue. Der Landtag sollte mehr sein als nur ein willfähriges Instrument des Herzogs. Mit ihm könnte man den Fürsten entmachten. Das Wunschbild einer alemannischen Republik setzte sich in den Köpfen der Demokraten fest. Einer ihrerWortführer war Christian Friedrich Baz, den Hölderlin beim Rastatter Kongreß kennenlernen sollte. Sie alle veröffentlichten Schriften, in denen sie ihre Vorstellungen von Reformen entwickelten. Hölderlin, begierig, das Neueste aus der Heimat zu erfahren, glücklich über den sich anbahnenden Umschwung, läßt sich vom Bruder Flugblätter und Broschüren senden. Baz’ Abhandlung »Über das Petitionsrecht« mit dem stolzen Untertitel »Für alle und zu allen Zeiten lesbar« stand noch in seiner kleinen Tübinger Bibliothek. Als Studenten hatten sie sich gewünscht, Sätze wie diese zu lesen: »Nichts ist der Pflicht und dem Zweke der Regenten, folglich auch dem Emporkommen der Nation mehr entgegen, als wenn man noch immer
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