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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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auffaßt, bald nicht mehr, denn er wird erfahren, wie bestochen und geschmiert werden muß, damit die geistlichen Herrn wohlgesonnen sind.
    Das wartet auf ihn. Mit dem einen und anderen wechselt er einige Worte. Mit Renz, mit Bilfinger, mit Klüpfel und mit Efferenn, der ihm einen wilden Eindruck macht und dem er aus dem Weg gehen will.
    Geschieht das alles an diesem Tag?
    Verbürgt ist vieles. Sämtliche Namen. Das Reglement. Der Tageslauf. Beschrieben sind die elenden Unterkünfte in diesem schönen Gehäuse von Jakob Friedrich Abel und der räudige Charakter des Vorstehers von Rudolf Magenau. Bekannt ist die Lokation in Denkendorf, die Zeugnisliste: Renz ist der Erste, wird der Erste bleiben. In Maulbronn, in Tübingen am Stift. Hölderlin ist sechster. Das ist sein fester Platz. An letzter, an neunundzwanzigster Stelle steht Ferdinand Wilhelm Friedrich Rothacker, und des Letzten sollte auch gedacht werden: Hölderlin hat ihm in Maulbronn mehrfach beizustehen versucht, aber der weniger Wendige und Kluge wurde getadelt, gestraft, dennoch sprang er nicht, wie viele andere, ab, sondern hielt dem Konsistorium die Treue, wurde Vikar, Pfarrverweser und am Ende Pfarrer in Kieselbronn bei Pforzheim. Für Rothacker war er der Fritz, ein Freund, der mehr konnte, seine Gaben ausspielte, die Poesie und das Klavierspiel. Das bleibt, bekommt Bedeutung und wird wie alles, was von diesem Leben zeugt, gesammelt. Das andere, das nichts aus sich macht, vergeht. Immerhin, weil er den Großen gestreift hat, wird er sichtbar, spielt mit, ein armer Kerl, dem der Vater, ein in schlechten Verhältnissen lebender Landpfarrer, nichts auf den Weg geben kann, keine Bestechung für den Herrn Vorsteher, also auch keine Verbesserung in der Lokation, also eher Aufmüpfigkeit und Nachlässigkeit, schlechter Umgang, womöglich Geschichten mit Frauenzimmern – aber Frauen sind es auch wieder, die Rothacker, nicht mehr in dem gräßlichen Denkendorf, sondern schon in Maulbronn helfen wollen und Hölderlin in die Intrige einbeziehen. Der wiederum erklärt seiner Mutter, nachdem sie ihn in Maulbronn besucht hatte und wegen seines Zustandes besorgt war, wie er sich um Rothacker zu kümmern gedenke, um den Letzten, der, wie eine Nebenfigur in einem Roman, danach für immer verschwinden wird; er schreibt Mitte Februar 1788 die Geschichte, die das Herz der Mutter ansprechen soll. Rothackers Vater hatte ihm in einem Brief gedankt, diesen Brief legte er bei: »Der Brief ist von HE. Pfarrer Rothacker in Hausen ob Verena. Ich muß Ihnen aber die ganze Sache erzählen. Rothacker ist arm. Einige Frauenzimmer von hier, die es wußten, und ihn gerne unbekannterweise unterstützen wollten, trugens mir auf. Die edle Handlung rührte mich« –
    – da führt eine Floskel den Zeitgeist mit: Wieviele edle Handlungen bewegten in Stücken und Geschichten und wieviel Gewalttat, Tücke verbargen sich scheinheilig hinter gespieltem Edelmut. Er meint es aber ernst –
    – »Beschämt nahm ich mir vor, ein Gleiches zu tun. Aber mein Beutel versagte mir damalen meine Freude. Aber – wann ich ihn von liederlicher Gesellschaft abhalte, dachte ich, wann ich ihn in seinen Arbeiten unterstütze, ihm soviel als mir möglich im Wissenschaftlichen beibringe (da Lehren ja ohnehin einst meine Hauptbeschäftigung werden soll) – gefällts dem lieben Gott nicht ebenso wohl, dachte ich, als Unterstützung mit Geld oder Kleidungsstücken? – Das übrige werden Sie aus dem Brief sehen. Das aber muß ich noch hinzusetzen, daß Rothacker damals in der schlechtsten Gesellschaft war – daß der Prälat seine Streiche dem Vater schrieb, daß er auf seines Vaters drohende Ermahnungen ihm alles mit reuigem Herzen bekannte, mit den Worten, daß er ganz anders geworden seie, und dies mir zu danken habe. Aber daß es nur sonst niemand erfährt, liebe Mamma! Man würde mich verlachen – daß ich meine Pflichten-Erfüllung zur Befriedigung meiner Eigenliebe mißbraucht hätte – Ihnen schrieb ichs bloß, weil Sie eine so zärtlich besorgte Mutter sind.«
    Noch weiß er nichts von Hordengepflogenheiten, Ängsten in der Gruppe, von schwarzen Schafen, daß einer aus der Gemeinschaft hinausgehöhnt, hinausgeprügelt werden kann. Er ist bisher aus der Schule immer nach Hausegekommen, und die Lehrer sind ihm dorthin gefolgt, waren ihm vertraut. Jetzt führt ihn und die anderen Alumnen einer der neuen Lehrer durchs Haus, zum Schlafsaal, dem Dormitorium, zeigt die Arbeitsräume, läßt sie auch in die

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