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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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daß sie flüsterten, fortwährend auf Geräusche im Haus horchten, die ganze Zeit darauf warteten, entdeckt, erschreckt zu werden, daß sie ihm am Ende den Satz sagte, den er mitnahm, der alles andere verdrängte: Hätte ich gewußt, wie es kommt, Hölder, ich hätte dich ganz gewollt.
    Niemand hat ihn gesehen. Als er am Haus entlangeilte, hörte er aus einem geöffneten Fenster die Stimmen der Kinder.
    Das wiederholt sich, im November, im Dezember, stets am ersten Donnerstag des Monats. Die Sprachlosigkeit wirdgrößer werden, nur die Angst, daß sie sich verlieren könnten, wird Sätze finden, beschwichtigende, beschönigende, entrückende, zornige, mutlose, hilflose, bettelnde: »Aber diese Beziehung der Liebe bestehet in der Würklichen Weldt die uns einschließt nicht nur durch den Geist allein, auch die Sinne (nicht Sinnlichkeit) gehöhren dazu, eine Liebe die wir ganz der Würklichkeit entrücken, nur im Geiste noch fühlen keine Nahrung und Hoffnung mehr geben könnten, würde am Ende zur Träumerey werden oder vor uns verschwinden«, schreibt sie ihm. Er antwortet ihr: »… Es ist auch fast nicht möglich, in einem Schicksal, wie das meinige ist, den nötigen Mut zu behalten, ohne die zarten Töne des innersten Lebens für Augenblicke darüber zu verlieren«. Die Geschichte zieht sich hin; sie wird immer mehr von der Wirklichkeit, an die beide sich klammern, verlieren und schließlich in eine Erinnerung aufgehen, die Mühe hat, nicht nur schiere Verzweiflung zu sein. Er hatte ihr das erste Gedicht mitgebracht, das er in Homburg schrieb. Sie hat es zur Seite gelegt, ihn nicht, wie sonst, aufgefordert, es ihr vorzulesen.
    Schau mich nur an, Hölder.
    Kaum war er fort, las sie es: »Herrlicher Göttersohn! da du die Geliebte verloren, / Gingst du ans Meergestad, weintest hinaus in die Flut.«
    Verspätet unterrichtet er Johanna über den Umzug. Es wäre ihm in den ersten beiden Wochen nicht möglich gewesen, so beherrscht zu schreiben, daß sie ihm die Veränderung nicht übel nähme. »… der unhöfliche Stolz, die geflissentliche tägliche Herabwürdigung aller Wissenschaft und aller Bildung, die Äußerungen , daß die Hofmeister auch Bedienten wären, daß sie nichts Besonders für sich fordern könnten, weil man sie für das bezahlte , was sietäten, u. s. w. und manches andre, was man mir, weils eben Ton in Frankfurt ist, so hinwarf – das kränkte mich, so sehr ich suchte, mich darüber weg zu setzen, doch immer mehr …« Da er weiß, wie sehr die Mutter um seinen Lebensunterhalt besorgt ist, ihn der Unfähigkeit und des Leichtsinns verdächtigt, beruhigt er sie. Er habe in den anderthalb Frankfurter Jahren fünfhundert Gulden zusammengespart und mit denen könne er, da Homburg längst nicht so teuer sei wie Frankfurt, ein gutes Jahr leben.
    Die Anspannung läßt nicht nach. Er gewöhnt sich an sie. Und er kann schreiben. Sinclair sorgt für seine Ruhe, doch auch Wagner und dessen Familie, die über manche Eigenheit ihres Mieters gutwillig hinwegsieht: daß er oft laut mit sich spricht; daß er manchmal nachts das Haus verläßt und erst am hellen Morgen von einem Spaziergang heimkehrt; daß er unverhältnismäßig viel Kaffee und Tee trinkt und die Kammer verqualmt.
    Du siehst, man kann auch mit einem halbierten Herzen leben, sagt er zu Sinclair. Wenn er mit Sinclair durch den Ort ging, freute er sich, daß sein Freund von jedermann gekannt und gegrüßt wurde.
    Das ist wie bei uns in Nürtingen.
    Nur daß Nürtingen keine Grafschaft ist.
    Sinclair, der seinen Dienst ernst nahm und den Widerspruch seiner Haltung eingestand, verehrte den Landgrafen: Er sei kein Frömmler, sondern tatsächlich fromm, sei gebildet und einsichtig und ohnehin in vielem von seinen mächtigeren Darmstädter Verwandten abhängig.
    Ich vertrete ein wenig und verhandle für nichts.
    Hölderlin mochte es nicht, wenn Sinclair sich so zynisch verteidigte.
    Sinclair drängte, ihn der Fürstenfamilie vorzustellen oder doch wenigstens denen, die von ihr derzeit vorhanden seien, der Landgräfin und einer ihrer Töchter. Dem Namen nach sei er der fürstlichen Familie bekannt, man wisse, daß er in Homburg wohne, und die Prinzessinnen hätten den »Hyperion« und viele seiner Gedichte gelesen. Hölderlin zauderte. Er wollte sich nicht abhängig machen und er hatte nicht die geringste Neigung, Hofdichter zu werden, oder Favorit verwöhnter Prinzessinnen. Er erinnerte sich, wie er in Maulbronn vor Carl Eugen und Franziska sich als

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