Härtling, Peter
die zwei Tempi anschaulich zu machen, die Hast seiner Existenz und den Widerstand seiner Gedichte.
[ Menü ]
II
Die Prinzessin
Meistens sind es kleine Zimmer, Kammern, in denen er haust. Die Bequemlichkeit ist nicht groß, die Enge kann bedrückend werden. Doch er kennt es nicht anders. Unwirtlichkeit ist ihm selbstverständlich. Das Zimmer in Glasermeister Wagners Haus am Rande Homburgs ist eines seiner behaglichsten. Er richtet sich darin so ein, als wüßte er, daß es doch für längere Zeit sei. Sinclair hilft ihm. Aus dem Haushalt seiner Mutter, die zum zweiten Mal Witwe geworden ist, schafft Sinclair eine kleine Truhe heran, in der Hölderlin Bücher und Manuskripte verwahrt; auch, in einer zusätzlichen, doppelt verschließbaren Schatulle, die Briefe Diotimas.
Es gelang Sinclair, ihn, nach der ersten Erschütterung, zu überzeugen, daß er um seine Liebe kämpfen müsse. Susette würde eine weitere Flucht nie verstehen können. Nun richteten sich alle seine Gedanken auf sie, und er grübelte, wie er sie sehen könnte. Er wußte, daß sie regelmäßig am ersten Donnerstag eines Monats das Schauspiel besuchte, so gut wie nie in Begleitung ihres Mannes, der sich wenig aus »komödiantischem Firlefanz« machte und es vorzog, mit Freunden Karten zu spielen. Dort könnte er sie sehen! Er fragte, noch unsicher, Sinclair, ob er diesen Plan für sinnreich halte, und der bestärkte ihn voller Eifer. Diese Affäre regte Sinclair, der sich aus Frauen wenig machte,auf, erschien ihm verwegen, und es reizte ihn, gleichsam Regie führen zu können. Er riet Hölderlin, über Nacht im »Weidenhof« zu bleiben und auf eine mögliche Nachricht von Susette zu warten. Denn ansprechen könne er sie vor den hungrigen Augen der Frankfurter Schwätzer nicht. Die Aussicht, Susette wenigstens sehen zu können, gab ihm neue Kraft. Sinclair begleitete ihn ein Stück und entließ ihn mit Wünschen und Ratschlägen. Du mußt ihr getrost erscheinen, Hölder. Du darfst dir nichts von deiner Wehmut anmerken lassen. Ich bitte dich, tausche Blicke mit ihr, mehr nicht. Zeig ihr allein dadurch, daß du auf ein Billett von ihr wartest. Sie wird von alleine darauf kommen. Sie will dich ja sprechen. Ich hoffe, sie wird da sein. Rede dir nur immer ein, daß sie da sein werde! Solche Wünsche werden gehört.
Hölderlin hält es im Hotel kaum aus. Aber in die Stadt will er auch nicht; er möchte nicht vorzeitig entdeckt werden. Als er das denkt, kommt er sich kindisch vor. Diese Geschichte entstellt ihn.
Im Theater drückt er sich in eine Ecke, Gogels sehen ihn, grüßen ihn zurückhaltend, erst kurz vor Beginn nimmt er seinen Platz ein, hält verstohlen Ausschau. Er wird sich an solche Geheimniskrämerei erst gewöhnen müssen. Susette ist da. Sie trägt ein weißes Kleid, hebt sich unwirklich von dem Hintergrund ab. Sie ist weit weg, doch er spürt ihren Blick. Sicher wird er beobachtet. Er kauert sich zusammen, wagt nur einige Male nach ihr zu schauen. Er wird von allen, auch von den Ahnungslosen, gepeinigt. Nach der Aufführung kommt er in ihre Nähe, sie streicht sich, als sei es ein Zeichen, vielleicht ist es eines, mit der Hand über die Stirn. Er bleibt, scheinbar in Gedanken versunken, stehen, sieht ihr nicht nach. Er war nahe daran zu schreien.
Am Freitag bringt ein Bote gegen Mittag den erwarteten Brief. »… Die Hoffnung hält uns allein im Leben.« Susette macht den kühnen Vorschlag, er solle sie am »Nachmittag ein viertel nach 3 Uhr« auf ihrem Zimmer im Weißen Hirsch besuchen. Er ist sich nicht sicher. Soll er es wagen? Wenn er jemanden trifft? Wie soll er sich verhalten? Hab ich denn die Pest? Wer hat mich denn krank gemacht? Und hat Susette nicht geschrieben?: »Sollte Dich sonst auch jemand sehen, tuht das gar nichts. Es kann nicht auffallend seyn, wenn Persohnen welche 3 Jahre unter einem Dache lebten 1 halbe Stunde zusammen zubringen, das Gegentheil viel mehr.« Er hält sich an ihre Vorschriften, geht »unverstohlen« durch die »hintere Thüre«, läuft »leicht und schnell die Treppe herauf wie sonst«, es regt sich nichts im Haus, entweder lauscht alles oder alles ist ahnungslos. Die Tür zu ihrem Zimmer ist angelehnt. Sie erwartet ihn.
Er hatte sie gleich in die Arme nehmen wollen. Nun kann er es nicht. Sie steht mitten im Zimmer, blaß, hebt die Arme ein wenig, läßt sie wieder hängen. Sie stehen sich gegenüber, brauchen Zeit. Danach kann er sich nicht mehr daran erinnern, was sie geredet haben. Er weiß nur,
Weitere Kostenlose Bücher