Härtling, Peter
Schloß Solitude, wo die Verschwörer in »strengerer Haft« festgehalten wurden. Nach zwei Monaten beendete die Kommission ihre Untersuchung. Blankenstein hat alles, wenn nicht mehr als alles, zum besten gegeben. Der Kurfürst weiß nun, daß Sinclair und die anderen »revolutionäre Gesinnungen verbreitet haben, erklärte Demokraten« sind und Sinclair im besonderen als »Republikaner« weithin bekannt ist. Seckendorf, als Württembergischer Regierungsrat, wurde am härtesten bestraft. Er wurde »neben dem Verlust der von ihm bekleideten Hof- und Zivilstellen zu einem zweijährigen Festungsarrest und anschließender Landesverweisung«verurteilt, allerdings schon im Oktober 1805 begnadigt. Sinclair entließ man auf Drängen des Landgrafen Anfang Juli. Die Affäre hatte ein Ende. Die Träume der Männer verrotteten in den Akten.
Zu Hause trifft Sinclair den Freund nicht mehr in der Obhut Calames. Der Uhrmacher hatte sich geweigert, den Tobsüchtigen, der ihm noch die ganze Einrichtung zerschlagen werde, weiter zu beherbergen. Mit Hilfe der Prinzessin Auguste war es Frau von Proeck gelungen, bei dem aus Württemberg stammenden Sattlermeister Lattner eine Wohnung zu finden.
Das Zimmer liegt im ersten Stock. Dort findet ihn Sinclair. Er hat sich, um den Freund nicht zu erschrecken, durch seine Mutter ansagen lassen. Hölderlin ist magerer geworden, steht gebeugt am Tisch, sieht Sinclair erwartungsvoll entgegen.
Du Lieber, sagt er. Wo bist du nur gewesen? Und wie lange.
Der Fürst hatte mich auf Reisen geschickt.
Er ist ein weitblickender Herr. Willst du, daß ich dir vorspiele?
Er setzt sich an das Klavier, an dem kaum eine Taste mehr heil ist.
Ich will nicht, Isaac, sagt er ruhig und bestimmt, daß du öfter kommst. Ich will lieber allein sein, ich habe auch zu tun.
Anderntags tobt er, schreit Unverständliches aus dem Fenster, und Doktor Müller muß ihm beruhigende Mittel geben.
Als Sinclair wenig später nach ihm sehen will, rührt sich nichts hinter der Tür. Er ruft leise: Hölder!, hört Schritte, es wird ein Papier unter der Tür hindurchgeschoben, daser aufhebt und auf dem Heimweg zu lesen versucht, denn es stehen Sätze scheinbar ohne Sinn unter- und übereinander geschrieben, ein Muster, dessen Regel sich ihm nicht erschließt, aber manche Zeilen treten hervor, und die Reinheit dieser Stimme ergreift ihn: »Denn furchtbar gehet es ungestalt«, »Und Schnee, wie Majenblumen«, »Am Feigenbaum ist mein / Achilles mir gestorben«.
Johanna, die den Beteuerungen Sinclairs und seiner Mutter nicht mehr traut, schreibt nun an den Sohn selbst, obwohl sie nicht weiß, ob er noch lesen kann und will: »Allerliebster Sohn! ob ich schon nicht so glücklich Bin auf mein wiederholtes Bitten auch einige Linien von Dir mein Lieber zu erhalten, so kan ich es doch nicht unterlaßen, Dich manchmahl von unserer vordauernden Liebe, u. Andencken zu versichern. wie sehr würde es mich freuen und erheitern, wan Du mir auch wieder einmahl schreiben woltest, daß Du die L. Deinige noch liebst, u. an uns denckest. Vielleicht habe ich Dir ohne mein Wisen, u. Willen Veranlasung gegeben, daß Du empfindlich gegen mich bist, u. so bitter entgelten läsest, seye nur so gut, u. melde es mir, ich will es zu verbesern suchen.«
Sinclair ist wieder unterwegs, in Berlin, er wohnt bei Charlotte von Kalb, für die Hölderlins Wahnsinn ein Auswuchs seines Genies ist und der sich das Waltershauser Jahr ins Ideale verklärt; keine Rede von den finsteren Streichen des Sohnes und ihrer Eifersucht auf Wilhelmine. Sie erzählt die Geschichte um seinetwillen um. Sinclair hört ihr geduldig und zustimmend zu, obwohl er insgeheim schon den Plan gefaßt hat, sich von Hölderlin zu trennen. Eine politische Änderung dient ihm als Vorwand. Er verhandelt in Berlin über die Auflösung der Landgrafschaft. Nach den Beschlüssen des Rheinbundes geht die Landgrafschaft indem neuen Großherzogtum Hessen auf. Sinclair muß zwar nicht um seine Stellung bangen, da er dem Großherzog weiter dienen kann – aber die Veränderung ist ein Anlaß, und so erklärt er auch Johanna in einem angestrengt frostigen Brief, daß Hölderlin nicht länger eine »Besoldung beziehen« und in Homburg bleiben könne.
Seit drei Wochen tobt der Kranke fast ohne Unterbrechung. Er und sein Zimmer sind verschmutzt, ein ekelhafter Gestank dringt denen entgegen, die sich zu ihm wagen. Er erkennt nun auch Sinclair nicht mehr.
Am 11. September wird Hölderlin abgeholt. Man hat
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