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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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jedem zu mißtrauen. Im Grunde braucht er es nicht mehr zu lernen, er bringt diese dumpfe, sich duckende Angst mit, sie hat ihn in den letzten Jahren begleitet. Nur die Bedrohung nimmt zu. Was er hört, lähmt ihn. Daß in Stuttgart Baz und Seckendorf ein Attentat auf den Kurfürsten vorschlagen, Sinclair darauf eingeht und alles in der Frage endet: Wer soll es tun? Daß Blankenstein lauernd anwesend ist, daß Landauer hinzugezogen wird, ein plötzlich ängstlicher Landauer, der den Plan für undurchführbar hält, die Freunde Tollköpfe nennt und Hasardeure, daß irgendeiner leise und nachdenklich »aber die Republik« sagt, daß sich in seinem Kopf dieser Satz festsetzt, ausweitet, zur Frage wird, die ihren Sinn verloren hat: Aber die Republik?, daß ein Unbekannter die Gespräche, die sich wiederholenden Sätze grob auseinanderreißt mit der Nachricht, der Kurfürst habe den Ständen die Auflösung des Landtags verkündet, daß nun alle durcheinanderschreien: Der Staatsstreich! Der Staatsstreich! Daß sie hastig, fahrig werden, den Zugriff des Fürsten erwarten, daß sie die Abreise, die Flucht planen, daß sie Stuttgart überstürzt verlassen und Blankenstein auf der Reise in finsteren Vermutungen schwelgt – wenn es nur nicht Landesverrat ist, Landesverrat –, daß Sinclair Hölderlin in Homburg keine Ruhe läßt, ihn anfleht, mit nach Mainz zu reisen, Sinclair müsse mit Jung die Lage besprechen, daß das Wiedersehen mit Jung, auf welches er sich freute,zur Enttäuschung wurde, denn wieder tritt ein Beengter, Gejagter, Zweifelnder auf, ein bucklicht Männlein, daß Jung, der Polizeikommissar der Republik, keinen Rat wußte, daß er vorhatte, seine Stelle aufzugeben, daß sie nur noch von Buonaparte sprachen, von Napoleon, der seine Krönung vorbereitete, daß sich Hölderlin, der die ganzen Tage geschwiegen und an dessen Schweigen sich Sinclair gewöhnt hatte, der Mund mit Galle und Wut füllt und er zu schreien anfängt, sich mit den Fäusten gegen die Brust schlägt: Ein König genügt der Republik nicht, nein, ein König nicht, die Republik braucht einen Kaiser.
    Dann hört er nichts mehr. Er spürt, wie er angefaßt wird, behutsam, er macht Schritte, die ihm andere vormachen. Sinclair? Bist du bei mir?
    Ja. Monsieur Calame wird dir Wein bringen, und bevor du schlafen gehst, sehe ich nach dir.
    Er ist wieder in Homburg, in seinem Zimmer in der Neugasse.
    Herr Calame, sein Wirt, ist Franzose; mit Franzosen hat er umzugehen gelernt, also wird er mit ihm auskommen.
    Sie müssen mit mir nicht Französisch sprechen, Monsieur le docteur.
    Sie können auch Deutsch – wie sonderbar.
    Gleich in den ersten Tagen hat er wieder zu arbeiten begonnen. Er hat Sätze mitgebracht, Entwürfe, die er weitertreiben will. Er denkt schöne, sanftstimmende Bilder aus der Vergangenheit: »Und Thills Tal, das …« Oder es reden immerfort Bitten in ihm: »Laß in der Wahrheit immerdar mich bleiben …«
    Es sei eine Besserung eingetreten. Sinclair beruhigt Sekkendorf, Landauer und Johanna, die sich um das »lange Stillschweigen« des Sohnes »bange Besorgniss macht«, jedoch stolz ist über die Anstellung Hölderlins als Hofbibliothekar und das großzügige Salär von zweihundert Gulden, das allerdings von Sinclair stammt, der eine vom Landgrafen gewährte Besoldungszulage an den Freund auszahlen läßt.
    Vieles ist eine Erfindung, sagt er zu Sinclair.
    Und als Sinclair ihn erstaunt ansieht, fügt er erklärend hinzu: Daß ich, zum Beispiel, bei dir bin.
    Aber es ist doch die Wirklichkeit, Hölder.
    Die haben nicht wenige, wie mir bekannt ist, verlassen.

    Sinclair hatte sich geirrt, als er einen Fortschritt in der Gesundung Hölderlins festzustellen glaubte. Hölderlin schloß sich wieder ein, wie in Nürtingen, und Calame mußte, wie Johanna, die Speisen auf die Türschwelle stellen. Nur mit einer List gelang es Sinclair, den Kranken herauszulocken: Er verspricht ihm, ihn mit einem Herrn bekanntzumachen, einem gewissen Gerning, der seit langem ein geradezu hitziger Verehrer von Hölderlins Dichtung sei.
    Will er sich mit mir über Dichtkunst unterhalten?
    Er hat dich und mich eingeladen.
    Nur über die Dichtkunst?
    Über nichts anderes.
    Weil sich ihm schon Personen und Dinge verzerren, erscheint ihm der Gastgeber als ebenbürtig: Johann Gerning, ein reicher Frankfurter Kaufmann, der sich in Homburg ein Haus baute, das er als Kunsttempel bezeichnete, ein Pfau, ein Schönredner, gefühllos in seiner Eitelkeit und zu jeder

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