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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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beeinflußt werden: »Nie vielleicht wird ein Wahnsinniger im Schooße seiner Familie wieder hergestellt; weil der Kranke, ergriffen anfangs von einer unbestimmten Verstimmung, häufig in seinen Umgebungen die Ursache aufsucht, die doch in seinem Innern liegt, immer wieder durch Anblick und den Umgang mit diesen Gegenständen erinnert wird an seine falschen Vorstellungen; bald den Widerspruch seiner Verwandten, welche ihm seine verwirrten Ideen ausreden, und durch Zanken, Gebett oder Überredung ihn zur Vernunft zurückbringen wollen, und ihn hindern, unsinnige Handlungen zu begehen, unerträglich findet; und einen umso größern Haß auf sie wirft, als er gerade von ihnen hoffte, sie sollen ihm helfen, das Ziel seiner ihn beherrschenden Neigungen zu erreichen.«
    Er tobte noch immer, unansprechbar und sprachlos.
    Die Ärzte versuchten, seine Wut mit Medikamenten zu dämpfen.
    (Eigentümlich, selbst so spät noch erscheint ein Vermittler, ein Bote: Unter den Medizinstudenten, denen Hölderlin vorgeführt wurde, befand sich Justinus Kerner. Er gehört zu den Literaten, die in der folgenden Generation das Andenken an Hölderlin wachhalten, und Kerner ist es auch, der diese Geschichte mit einer anderen verknüpft. Als Nikolaus Lenau in die Irrenanstalt Winnenthal eingeliefert wird, schreibt Kerner über dessen Tobsucht: »Je heftiger solche Anfälle sind, je eher lassen sie nach. Bei Hölderlin war es doch ganz anders. Ich mußte ja damals sein Krankentagebuch führen …«)
    Man gab ihm allenfalls drei Jahre.
    In der Klinik hielt man ihn zweihunderteinunddreißig Tage, dann resignierte Autenrieth und überließ ihn jemandem zur Pflege, der sich nicht nur für Hölderlin interessierte, seinen »schönen, herrlichen Geist«, sondern auch vorhatte, besser und liebevoller mit ihm umzugehen als jeder andere. Es war der Schreinermeister Ernst Zimmer.

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    II
    Die zweite Widmung(Ernst und Charlotte Zimmer)
    Ernst Zimmer ist fünfunddreißig Jahre alt, als er Hölderlin zu sich nimmt. Eben hat er ein Haus bezogen, das vor neun Jahren auf der Zwingermauer über dem Neckar erbaut wurde. Damals hatte man den Stadtturm, der noch an diesem Platz stand, abbrechen müssen und auf das so entstandene »Steinerne Rundell« einen »Anbau aufgeführt«, das Türmchen, in dessen erstem Stockwerk Hölderlin wohnte, in einem, wie Waiblinger es schildert, »kleinen geweißneten amphitheatralischen Zimmer«. So ist es. Ich bin oft dort gewesen, habe aus dem Fenster auf den Neckar geschaut, auf die inzwischen gelichteten Alleen, auf den Spitzberg und auf die Alb. Es ist sein Ausblick. Sie seien anmutig, sagt man von solchen Landschaften; sie muten einen an wie von Kindern gemalt: Ohne alles Pathos, ein wenig verrutscht und zu eng geraten, doch hell und fast schwerelos.
    Viele Jahre befand sich die Werkstatt Zimmers im Erdgeschoß, später wurden an deren Stelle Wohnräume eingerichtet, das Haus mehrfach erweitert, da die Familie größer wurde und Zimmer, um zuzuverdienen, Studenten beherbergte.
    Von Hölderlin hatte Zimmer bald nach dessen Einlieferung bei Autenrieth erfahren, da er die Schreinerarbeiten für das Klinikum besorgte. Er wußte, um wen es sich handelte; er hatte gerade mit der Frau Hofbuchbinder Bliefers den »Hyperion« gelesen.
    Von Zimmer kenne ich kein Porträt. Wenn ich an ihn denke, sehe ich einen kleinen, zartgliedrigen, doch durchaus kräftigen Mann mit einem schmalen Kopf und einem Gesicht, in dem sich um oft lächelnde, geduldige Augen schon früh Falten und Fältchen ziehen. Er neigt zum Schwärmen, hat einen »Sinn fürs Höhere«, liest viel, kann ausdauernd grübeln.
    Bei den Ärzten fragt er nach, ob es sich tatsächlich um den handle. Ja, es sei der Dichter des »Hyperion«. Man läßt ihn zu Hölderlin in die Zelle. Der Kranke beachtet ihn so wenig wie alle; schnauft, verdreht die Augen, stöhnt oder macht einen Bückling nach dem anderen und komplimentiert den Besucher auf diese Weise aus dem Zimmer.
    Noch immer ist er tagelang außer sich, nur schwer und mit Gewalt zu besänftigen.
    Zimmer bemüht sich, Hölderlins Vertrauen zu gewinnen, ohne sichtbaren Erfolg, doch er läßt in seiner Aufmerksamkeit nicht nach, und Autenrieth, der diese sonderbare Freundschaft beobachtet, schlägt Zimmer vor, den Kranken zu sich zu nehmen. Sicher wird sich Zimmer mit seiner Frau, Maria Elisabeth, beraten haben. Es kann sein, sie hat ihm die Sache ausreden wollen: Das schaff ich nicht, denk an die Kinder! (Christian

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