Härtling, Peter
gange. Er hat net leide müeße nach so viel Leid.
Unser lieber Hölderle.
Kemmler ist gerade noch rechtzeitig gekommen. Der Leichnam werde in das Klinikum geholt, da die Professoren nachsehen wollten, woran der Ärmste gelitten habe. Am 10. Juni um zehn Uhr findet die Beerdigung statt.
Auf dem Friedhof wartet Kemmler mit Freunden auf den Leichenwagen. Studenten, die im Zimmerschen Haus ihr Logis haben, heben den Sarg auf ihre Schultern, tragen ihn bis zu der Grube unmittelbar an der Mauer. Dem Sarg folgen Fritz Breunlin und die Zimmerschen Frauen. Karl und Heinrike sind nicht gekommen. Auch nur drei Professoren vom Stift. Dafür viele Studenten.
Der Regen hört auf.
Christoph Schwab spricht.
Der Liederkranz singt zwei Choräle.
Die Studenten ziehen an Frau Zimmer vorüber, drücken ihr die Hand.
Kemmler rennt zurück ins Stift, will mit niemandem reden, schließt sich ein, versucht in einem Gedicht die ihm garnicht begreifliche Trauer zu fassen. Ab und zu sieht er aus dem Fenster. So hat es auch Hölderlin gesehen, den Fluß, die Hügel unter dem vom Regen ausgewaschenen Blau. Die Sätze stellen sich wie von selbst ein. Kemmler antwortet auf eine Geschichte, in die er für einen Moment aufgenommen war: »Ihn erschlug die gealterte Zeit, da er sich in den Weg ihr / Warf und entgegen ihr hielt zürnend ihr jugendlich Bild / … / Und schon hören wir fern den verstopften Born der Geschichte / Wieder rauschen dem Volk, öffentlich Leben erblüht: / Daß nicht mehr sich selbst umkreise der Dichter und schmerzlich / Todtem leihe sein Blut …« Nur die Feder hört man auf dem Papier, von draußen Rufe und Lachen, Schritte der heimkehrenden Studenten. Zwei Bilder, das Vergangene und das Gegenwärtige, gehen ineinander auf, werden sich gleich. So kann es gewesen sein; hier kann es enden.
[ Menü ]
Nachbemerkung und Dank
Als Grundlage dienten mir:
Sämtliche Werke. (Große Stuttgarter Ausgabe) Hg. von Friedrich Beißner und Adolf Beck. Stuttgart 1943 ff.
Sämtliche Werke. (Kleine Stuttgarter Ausgabe) Hg. von Friedrich Beißner und Adolf Beck. Stuttgart 1944 ff.
Werke und Briefe. Hg. von Friedrich Beißner und Jochen Schmidt. Frankfurt am Main 1970.
Sämtliche Werke. (Frankfurter Ausgabe) Hg. von D. E. Sattler. Frankfurt am Main 1975 ff. (Während ich an diesem Buch schrieb, lag mir nur der »Einführungsband« vor.)
Hölderlin. Eine Chronik in Text und Bild. Herausgegeben von Adolf Beck und Paul Raabe. Frankfurt am Main 1970.
Hölderlin. Eine Ausstellung zum 200. Geburtstag. Katalog herausgegeben von Werner Volke unter Mitarbeit von Heidi Dick, Barbara Götschelt, Ingrid Kussmaul. Marbach am Neckar 1970.
Die Werke und Briefe Hölderlins zitierte ich nach der »Kleinen Stuttgarter Ausgabe«: der leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit wegen, wobei es mich schmerzte, daß notgedrungen solche charakteristischen Schreibweisen wie »Schiksaal« verlorengingen.
Unzähligen, die sich mit Leben und Werk Hölderlins beschäftigt haben, verdanke ich Anregungen. Für sie alle seien stellvertretend genannt: Theodor W. Adorno, Beda Allemann, J.-F. Angelloz, Adolf Beck, Friedrich Beißner, Walter Benjamin, Pierre Bertaux, Walter Betzendörfer, Ernst Bloch, Hans Brandenburg, Martin Brecht, Wolfgang Binder, Bernhard Böschenstein, Walter Bröcker, Maurice Delorme, Gerhard Fichtner, Ulrich Häussermann, Michael Hamburger, Norbert von Hellingrath, Käthe Hengsberger, Alfred Kelletat, Walter Killy, Werner Kirchner, Anatolij Lunatscharski, Georg Lukács, Wilhelm Michel, Robert Minder, Ernst Müller, Klaus Pezold, Ludwig von Pigenot, Paul Raabe, D. E. Sattler, Friedrich Seebass, F. Stöffler, U. Supprian, Claus Träger, Peter Szondi, Carl Viëtor, Werner Volke, Martin Walser, Peter Weiss, Franz Zinkernagel.
Allen voran freilich danke ich Adolf Beck, ohne dessen bewunderungswürdige Edition und Kommentierung der Briefe Hölderlins sowie der Lebensdokumente ich dieses Buch kaum hätte schreiben können.
[ Menü ]
Klaus Siblewski
»Der Göttin Sohn«
Nachbemerkungen zum Roman Hölderlin
»there is no room for the hopeless sinner« Rod Stewart
I.
Peter Härtling begann mit ersten konkreten Arbeitsvorbereitungen für den Hölderlin-Roman, noch während er an dem Buch »Eine Frau« schrieb. Zum Jahresende 1973 hatte er seine Anstellung beim S. Fischer Verlag aufgegeben; er hatte sich für das Schreiben entschieden und gegen die Tätigkeit als Geschäftsführer, die ihm immer weniger Zeit zum Schreiben ließ.
Mit
Weitere Kostenlose Bücher