Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
Vom Netzwerk:
viel, wenn man es von ihm verlangt. An seinen Federkiel hat er eine Fahne aus Papier befestigt, die hin und her weht, wenn er sorgfältig Buchstaben malt.
    In den letzten Jahren besucht ihn, neben Christoph Schwab, gelegentlich ein junger, aus Geislingen stammender Lehrer, Johann Georg Fischer, der mit seinen behutsamen, genauen Fragen in die zerstörte Erinnerung des Greises dringen kann. Zum Schluß gibt sich der Flüchtling noch einmal preis – in einer sonderbaren Parodie der Gestalt, auf die sein Leben zugelaufen und nach der es vergangen war:
    »›Ihre verherrlichte Diotima muß ein edles Geschöpf gewesen sein?‹
    ›Ach meine Diotima! Reden Sie mir nicht von meiner Diotima; dreizehn Söhne hat sie mir geboren: der eine ist Papst, der andere Sultan; der dritte Kaiser von Rußland. Ond wisset Se, wies no ganga ischt? Närret isch se worde, närret, närret, närret.‹ «
    Er zieht den Stuhl ans Fenster, sieht, was er seit Jahren sieht, ein ins Fensterkreuz gespanntes Bild.
    Kommen Sie, mein Hölderle, wir wollen spazierengehen. Lotte steht unter der Tür und wartet auf ihn.
    Lotte hat sich nicht verheiratet. Nach seinem Tod achtete sie darauf, daß das Turmzimmer so erhalten blieb, wie er es bewohnt hatte: »da ich … an die Zeiten zurückdenke, da ich die Pflegerin des unglücklichen Dichters sein durfte«.
    Sie blieb in dem Haus auf der Zwingermauer bis zu ihrem Tode im Jahre 1879.
    Man kann nicht allen Figuren zugeneigt sein, die man beschreibt. Diese beiden, Ernst und Lotte Zimmer, habe ich, schreibend, zärtlich geliebt.

[ Menü ]
    III
    Die dritte Widmung (Johanna Gok)
    Weit am Anfang, schon unendlich entfernt, steht das Bild, das ihr erster Mann von ihr malen ließ: die junge Frau im Feststaat. Damals hatte sie sich, verführt von der Zuversicht ihres ersten Mannes, ein sorgloses, vielleicht sogar üppiges Leben erwartet. Die Nürtinger kannten die zweifach Verwitwete, die Frau Kammerrat, anders. Eine stets dunkel gekleidete Frau, auf ihre Würde bedacht, zwar gesellig, aber auch abwartend und mißtrauisch. Man achtete sie, sie hatte immer Umgang mit den Wortführern der Stadt, den Pfarrern, dem Schultheiß, dem Stadtschreiber. Früh, wahrscheinlich nach dem Tod Goks, wendete sie ihre ganze Liebe dem ältesten Sohn zu. Er sollte erfüllen, was ihren beiden Männern verwehrt gewesen war. Heinrike und vor allem Karl litten ohne Zweifel unter dieser Besessenheit. Doch sie konnte, wie sie oft erklärte, es sich nicht leisten, auch Karl eine solche Ausbildung zu bezahlen. Da sie sich einschränkte, fortwährend mit jedem Kreuzer rechnete, mußten die Kinder und Verwandten annehmen, es stünden ihr nur geringe Mittel zur Verfügung.
    Sie spielte arm, raffte, sammelte, hortete und verleugnete, zugunsten des Ältesten, ein beträchtliches Vermögen, das jedes Jahr genug Zinsen brachte, um die Ausgaben »vor den L. Fritz« zu decken. Hölderlin hat das nie durchschaut und deshalb, selbst wenn er als Hofmeister darben mußte, sie nur in Notfällen um einen Zuschuß gebeten. Sie hat für ihn gehortet, nicht für sich und die beiden anderen Kinder; als hätte sie geahnt, daß er einmal, mehr als die anderen, auch den materiellen Schutz benötige. Doch noch in den Jahren seiner Krankheit mußte das Vermögen nichtangetastet werden, da es mittlerweile so angewachsen war, daß die Zinsen sogar für die Versorgung des Kranken ausreichten. Außerdem war es Johanna gelungen, andere Pfründen zu erschließen, vom Landesherrn ein Gratial, eine ehrende Beihilfe von jährlich hundertfünfzig Gulden, zu erbitten.
    Eigentlich ist es eine Liebesgeschichte. Die fromme, der Enge und Strenge des Pietismus verpflichtete Frau, die sich Träume verbieten muß, die auf keine Zärtlichkeit mehr warten kann, wählt den Ältesten, den Schönen und Hoffnungsvollen, zu ihrem Geliebten. Er durfte nicht mehr nur der Sohn sein, sondern der Mann, den sie sich gewünscht hatte. Ihre Liebe wurde schrecklich geprüft. Aber sie bestand, wie alle großen Liebenden. Und als sie mit der Vernunft, auf die sie ständig pochte, nicht mehr auskommen konnte, als der Sohn nicht die von ihr vorgezeichneten Wege ging, die von ihr angebotenen, eingerichteten Wirklichkeiten ausschlug, folgte sie ihm, unter der wachsenden Entfernung leidend, die Sprachlosigkeit und die für sie unverständliche Wut auf sich nehmend. Sie hat ihn geliebt, sie hat sich um seinetwillen unzählige Male verraten müssen.
    Ihr Leben hat niemand beschrieben.
    Auf die Kehrseite hat

Weitere Kostenlose Bücher