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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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dem Ausscheiden aus dem Verlag setzt bei Härtling eine ungewöhnlich rege Produktivität ein. Im Frühjahr 1974 schließt er bereits den Roman »Eine Frau« (siehe Gesammelte Werke Bd. 2) ab. Darauf folgt eine ausgedehnte Lesereise, die ihn kreuz und quer durch die Republik führt, und im Mai 1975 kann er Eduard Reifferscheid, dem damaligen Verleger des Luchterhand Verlags, bereits seinen Plan eröffnen: Ein umfangreich angelegtes Buch über Hölderlin soll entstehen.
    Von der Bedeutung dieses Vorhabens muß Härtling von Anfang an überzeugt gewesen sein. Leider ist sein Ankündigungsbrief nicht mehr erhalten, aber Reifferscheids wohlwollend skeptische Antwort läßt darauf schließen: »Das Programm, das Sie im letzten Absatz Ihres Briefes umschreiben, kann ich nur, boshaft von Natur, glossieren als viel zuviel« (siehe »… und gehe in Worten spazieren.«). Der fertige Roman später gibt Härtling Recht, er vermag seine ehrgeizigen Pläne einzulösen. Im »Hölderlin« hat Härtling wie in keinem anderen seiner Bücher das Zentrum seines künstlerischen Schaffens und Denkens gefunden. Wesentliche Elemente dieses Romans finden sich, mehr am Rande oder versteckter, auch in seinen anderen Büchern wieder. Wenn man aus allen Veröffentlichungen Härtlings die für ihn typischste nennen müßte, sein ideales Buch, dann müßte die Sprache als erstes auf den »Hölderlin« kommen.
    Damit geht auch die Bedeutung einher, die der Dichter Hölderlin für Härtling besitzt. Kein anderer hat Härtling nachhaltiger beschäftigt als er. Auch die allenfalls damit noch zu vergleichende Auseinandersetzung mit dem TonDichter Schubert besitzt nicht diese Dringlichkeit und Tiefe. Härtling ist bereits als Jugendlicher im positivsten Sinn von Hölderlin gefangengenommen. Eingestandenermaßen sind es zunächst nur vage Gefühle, die ihn, der im Frühjahr 1945 als Flüchtling nach Nürtingen kam, an Hölderlin binden. Dessen Uneinverstandensein mit schwäbischer Enge und den Kleingeistereien der Fürsten muß bei Härtling verwandte Gefühle getroffen haben. Nürtingen nahm die Flüchtlinge, die aus dem ehemaligen Protektorat Mähren über Wien dorthin kamen, keineswegs gastfreundlich auf. Der Krieg hatte Härtling zum Vollwaisen gemacht, und die Schule mit den Nazilehrern setzte ihm auf das äußerste zu. Bei Hölderlin konnte er sich heimisch fühlen. In Hölderlin fand er einen glanzvollen Verbündeten und durch ihn konnte er sich heimischer fühlen. Später bekennt Härtling: »Sein Weg zur Schule, zur Kirche – der meine …« »Ein unsichtbares Netz von Sätzen legte sich über die Stadt und brachte sie mir, die mir oft eng und finster erschien, zum Leuchten.« Durch Literatur wird Härtling zum Einheimischen, allerdings zu einem aufsässigen. Seine Gefühle für diese neue Heimat bestehen nicht ohne Kritik an ihr.
    Der nächste Abschnitt, der Härtling wieder zu Hölderlin führt, ist mit dem Datum 1968 markiert. Aufgrund seiner Stellung im Verlag zählte Härtling zu denen, die angegriffen wurden. Als Geschäftsführer gehörte er für Teile der Belegschaft und den Betriebsrat automatisch zum Establishment, das Demokratie und Sozialismus im Weg stand. Härtling jedoch war es auch aus inneren Gründen verwehrt, bei diesem hochgespannten Aufbruch mitzumachen. Er konnte die Unbekümmertheit nicht teilen, mit der für den Umsturz agitiert wurde, und das neu erwachte Vertrauen in Ideologien ebenfalls nicht. Die klassische Enthaltsamkeit des Intellektuellen aufzugeben und sich einzumischen, machte ihm große Mühe. Obwohl er nicht auf die Idee gekommen wäre, den Krieg der Amerikaner in Vietnam zu verteidigen, war es ihm dennoch fremd, sich in ein Antikriegskomitee wählen zu lassen und in welthistorischen Maßstäben zu denken. In seinem Zögern fand er sich durch Hölderlin wiederum bestärkt. In dessen Briefen zeigte sich, daß er als Republikaner den Schrecken, der auf die Französische Revolution folgte, aus tiefstem Gefühl heraus verabscheute. Bei ihm fand Härtling sich bestätigt in seiner Vorsicht und Angst vor politischem Handeln: Er mochte nicht schuldig werden und sich aus Eifer den Blick für die Opfer nicht eintrüben lassen.
    Allerdings hätte Härtling gern mehr über die Person Hölderlins in Erfahrung gebracht. Die Sekundärliteratur zu diesem Dichter war ihm dabei keine Hilfe. Die Hölderlin-Exegeten betrieben Mystizismus. Adorno sprach damals von »marktgängigem Tiefsinn«, unter dem Hölderlins Werk begraben

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