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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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liege. Heidegger hatte den Dichter in seinen als antimetaphysisch gedachten Provinzwinkel eingeschreint, und die Philologen destillierten daraus ihre weltabgewandten Formeln. Wer war aber Hölderlin? Tatsächlich nur der Griechenlandphantast und später dann der selig Entrückte? Wo war über den Hölderlin, der auch frühstückte und zu Mittag aß, etwas herauszubringen?
    Bei zwei französischen Gelehrten stieß Härtling auf beherztere Formulierungen und auf einen konkreteren Hölderlin. Robert Minder: »Ob die Enttäuschung über Schiller und die Angst vor Fichte, der mit jakobinischer Radikalität ein geistiges Todesurteil nach dem anderen fällte, Hölderlin aus Jena und Weimar vertrieben haben oder ob eine zwielichtige Liebesaffaire, verbunden vielleicht mit derGeburt eines unehelichen Kindes, die angstvolle Rückkehr zur Mutter mitveranlaßte, sei dahingestellt.« Wozu wurde Hölderlin in diesem einen Satz zu Härtlings Überraschung für fähig gehalten! Offenbar, darin war er sich eigentlich sicher, war Hölderlin nicht dieses rein geistige Wesen, sondern besaß Kontakt zu Jakobinern und zu Frauen. Eine uneheliche Vaterschaft wird ihm sogar unterstellt! Ihn an der Seite des politischen Fortschritts und als Mann zu sehen, der eine Sexualität besaß und sie praktizierte, war unerhört und neu.
    Auch die Lektüre von Pierre Bertauxs Buch »Hölderlin und die Französische Revolution« bestärkt Härtling, Hölderlin aus seiner sozialen Umgebung heraus begreifen zu wollen. Bertaux stellte fest, daß bisher unterschlagen wurde, »wie sehr Hölderlin in den politisch-historischen Ereignissen der Zeit verstrickt war und was sie für ihn bedeutet haben«. Also war es, was Härtlings Interesse an Hölderlin beflügelte, sogar eine Bedingung, Hölderlin auch aus seiner Zeitgenossenschaft heraus zu verstehen, aus seiner politischen, literarischen, kulturellen Zeitgenossenschaft. Härtling lief also keineswegs in die Irre, wenn er sich auf die Suche danach begab, wie Hölderlins Leben verlaufen sein könnte. Die biographische Feldforschung führte direkt zum Dichter.
    Aber mehr als Hinweise zu Hölderlins Leben fand er bei Minder und Bertaux auch nicht. Eine umfangreiche Recherchearbeit begann, von der die Namen im Quellenverzeichnis einen Eindruck geben. Im Winter 1974 hatte er dann alles verfügbare Material zusammengetragen und konnte mit dem Schreiben beginnen. Die Niederschrift nahm zwei Jahre in Anspruch.

II.
    Tatsächlich ist der »Hölderlin« sein erstes Buch, das sich mit der kompletten Biographie eines Autors beschäftigt. Der etwas über zehn Jahre zuvor erschienene »Niembsch« darf dabei nur als ein entfernter Vorfahre angesehen werden. Härtling interessierte Lenaus Lebenslauf nur bedingt. Ihm ging es darum, eine Art von Romanessay zu den Themen Erinnerung, Wiederholung und Lustgewinn zu schreiben. Biographische Details aus Lenaus Leben benutzte er nur, wenn sie geeignet waren, seine Überlegungen in einen Handlungsverlauf einzufügen. Damit nicht der Eindruck entstand, er wolle eine Biographie über Lenau verfassen, hat er einen unbekannteren Vornamen von Lenau benutzt und zum Bestandteil des Titels gemacht: Niembsch.
    Im »Hölderlin« schlägt Härtling einen ganz anderen Weg ein. Er bemüht sich, möglichst nahe an seine Figur heranzurücken – so nahe, daß er Hölderlin sogar, ohne falsche Töne anzuschlagen, mit Fritz anspricht, wie das dessen Familie getan hat, oder mit Hölder, seinem Rufnamen unter den Freunden. Möglichst gegenwärtig soll diese Figur in ihrem alltäglichen Leben werden, damit die Spannungen deutlicher hervortreten, denen dieser Dichter ausgesetzt war. Denn darauf zielt Härtling mit seinem Roman ab: Er möchte wissen, wie sich Hölderlin gefühlt haben mag mit seinen Vorstellungen von der Republik, hinter denen die Wirklichkeit weit zurückblieb. Oder wie er seine Niederlagen als Liebender und Lehrer verkraftet hat. Ein wirklichkeitsnahes Bild des Autors soll hergestellt werden.
    Der »Hölderlin« steht aber noch aus einem anderen Grund am Anfang einer längeren Reihe von Büchern über Dichter aus dem 19. Jahrhundert, die Härtling in den nächsten Jahren immer im Wechsel mit ausschließlich in der Gegenwart spielenden Romanen schreiben wird. Er behält die einfache Sprache bei, die dem Alltag entlehnt ist und in kurzen Sätzen abgefaßt ist. Der Roman »Eine Frau« war bereits in dieser Sprache geschrieben. Der Beweis war damit erbracht, daß sich dieser neue Duktus von

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