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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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keiner geschaut.
    Die Briefe, die sie an Karl, Heinrike, die Verwandten schrieb, sind verlorengegangen. Das Geschwätz der Stadt ist längst verhallt.
    Aber das kann ich mir ausdenken – und ihre Qualen dazu. Nichts, was Hölderlin trieb, nachdem er das Stift verlassen hatte, entsprach den Vorstellungen der Bürger.
    Wie geht’s dem Fritz?
    Er ist Hofmeister in Waltershausen.
    Will er denn nicht Pfarrer werden?
    Doch. Nur möchte er seine Freiheit ein wenig genießen und sich weiterbilden.
    Wie geht’s dem Fritz?
    Er ist Hofmeister in Frankfurt.
    Hat er denn die Genehmigung des Consistoriums?
    Ja, ja.
    Wie geht’s dem Fritz?
    Er ist Hofmeister in Bordeaux.
    So, nach Frankreich ist er gegangen? Er hat wohl keine Neigung, eine Pfarrstelle anzunehmen.
    Ich kann’s auch nicht sagen.
    Und dann das, was man ihr nicht mehr sagt, was sie nur noch hört, die wispernden, hechelnden Geräusche der Stadt: Der Hölderlin soll eine Affäre in Jena gehabt haben. Mit einer verheirateten Frau. Er soll sich mit dem Mann geschlagen haben. Und dies sei nicht das erste Mal, denken Sie, nicht das erste Mal. Haben Sie gehört, der Hölderlin soll in eine Verschwörung verwickelt sein. Er ist ein Revolutionär, ein Jakobiner. In Ludwigsburg wird jetzt der Prozeß gegen seine Freunde gemacht. Sogar den Bürgermeister hat man seinetwegen befragt. Aber der Hölderlin spinnt ja jetzt, er ist verrückt geworden. Das kommt von alledem. Das kommt, weil er nicht auf seine Mutter gehört hat, die arme Frau Kammerrat. Die ist so stolz auf ihn gewesen. Haben Sie denn sein Buch gelesen? Da kann man sehen, weshalb er verrückt geworden ist.
    Das Gerede verletzt sie, sie zieht sich zurück. Ihr Mißtrauen wächst.
    Der Fritz! Der Fritz! Immer nur der Fritz. Nun weiß sie, daß sie ihn auch vor dem Neid der Geschwister bewahren muß. Mir hast du nie geholfen. Karl hat recht.
    Aber sie hat ihre Liebe nicht teilen können.
    Sie ist früh gealtert. Mit vierzig gleicht sie einer Sechzigjährigen. Von da an wird sie sich nicht mehr ändern, wird sich gleichbleiben bis zu ihrem Tod, wie viele Frauen, die von Jugend auf hart haben arbeiten müssen.
    Nicht ein einziges Mal hat sie ihn in Tübingen besucht. Zimmer unterrichtete sie regelmäßig über den Zustand des Sohnes, sie wiederum sorgte dafür, daß alle Ausgaben und Schulden korrekt beglichen wurden. Zimmer schickte ihr die Rechnungen für Wohnung, Pflege, Kost, für den kargen Luxus, Tabak und Wein. Aber sehen wollte sie ihn nicht mehr. Er lebte und war dennoch gestorben. Sie sorgte für sein Leben und zehrte von seinem Andenken. Das Bild des Geliebten wollte sie sich nicht zerstören lassen – so ging sie nicht zu dem, der er nicht mehr sein konnte.
    Wenigstens einmal könnten sie auch zum Fritz reisen, Mamma.
    Laßt mich in Frieden. Es geht ihm gut, schreibt der Herr Zimmer, es geht ihm nichts ab.
    Wenn sie allein ist und nicht überrascht werden kann, liest sie in seinen Briefen und in den Gedichten, die er ihr geschickt hatte, auch in den Briefen Susettes. Alles ist ihr fremd, bedrückt sie, sie macht sich auch nicht die Mühe, Zusammenhänge auszudenken. Wie kann man nur so leben?
    Sie hat ihm das Leben, zu Hause und auf den Schulen, beibringen und ihn begleiten wollen. Sie wollte den Weg übersehen, so wie sie es gelernt hatte. Als er sechs Jahre alt wurde, begann sie die Ausgaben »vor den L. Fritz« zu notieren, die ihm, »wann er im Gehorsam bleibt«, nicht vom Erbe abgezogen werden sollten. Eine ähnliche Liste legtesie auch für Karl an. Jede Kleinigkeit hält sie vierzig Jahre lang fest, dann führt Fritz Breunlin die Liste für die Großmutter fort. Für die Schulzeit in Nürtingen mußte sie hunderteinundzwanzig Gulden aufwenden, für die Studienjahre in Denkendorf, Maulbronn, Tübingen und Jena zweitausendfünfhundertfünfundsiebzig Gulden, für die Hofmeisterzeit in Frankfurt, Homburg, Stuttgart, Hauptwil und Bordeaux elfhundertsechsundzwanzig Gulden, für den Kranken sechstausendfünfhundertsiebenundvierzig Gulden. Das Vermögen griff sie nicht an, die Zinsen und das Gratial reichten aus. Sie hatte klug vorgesorgt, konnte zufrieden mit sich sein. Ihr planender Geiz mußte freilich den Streit unter den Geschwistern herausfordern. Was braucht ein Verrückter so viel Geld?
    Sie ahnte, befürchtete es. Von 1808 bis 1820 schreibt sie an ihrem Testament, es immer neu fassend, darauf bedacht, so genau und gerecht wie nur möglich zu sein, keines der drei Kinder zu kurz kommen zu lassen,

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