Härtling, Peter
lauter Unmut nicht ins Bett gehen, und die halbe Nacht auf dem Dorment auf und ab singen.
»Auf, auf ihr Brüder und seid stark!
Der Glaubiger ist da.
Die Schulden nehmen täglich zu,
wir haben weder Rast noch Ruh,
drum fort nach Afrika – (das wär das Kap)
und so gehts fast alle Nacht, da lachen sie am Ende einander selbst aus, und dann ins Bett. Aber freilich ist dies eine traurige Lustigkeit!«
Er war ein Klosterschüler, hatte die Mentalität eines Gefangenen: erfaßte nur das, was ihn unmittelbar anging. Die weitere, ihn umgebende Wirklichkeit blieb als verschwommene Kulisse am Rande. So auch das Schicksal der fürs Kap Angeworbenen. Die Herzöge, immer knapp an Mitteln, wußten aus allem Geld zu schlagen. Die holländisch-indische Compagnie brauchte Soldaten fürs Kap der Guten Hoffnung, für die afrikanischen Scharmützel, der württembergische Herzog hatte genug Männer, denen alles recht war, bekamen sie nur einen Pfennig. So verkaufte er sie. Geworben wurde schon im frühen Winter 1786. Am 28. Februar 1787 marschierte bereits das erste Bataillon des Kapregiments, 898 Mann stark, aus Ludwigsburg ab. Am 2. September desselben Jahres folgte das zweite. Schubart hatte von der Festung darüber bitter an einen Freund geschrieben: »Künftigen Montag geht das aufs Vorgebirg der Guten Hoffnung bestimmte württembergische Regiment ab. Der Abzug wird einem Leichenconducte gleichen, denn Eltern, Ehemänner, Liebhaber, Geschwister, Freunde verlieren ihre Söhne, Weiber, Liebchen, Brüder, Freunde – wahrscheinlich auf immer. Ich hab’ ein paar Klaglieder auf diese Gelegenheit verfertigt, um Trost und Mut in manches zagende Herz auszugiesen. Der Zweck der Dichtkunst ist, nicht mit Geniezügen zu prahlen, sondern ihre himmlische Kraft zum Besten der Menschheit zu gebrauchen.« Der Schreiber Blum – durch Ehe mit einer Volmar-Tochter ein Verwandter Hölderlins –, der seinerzeit Johanna so begaffte, als sie mit den Kindern in Markgröningen zu Besuch und vom Regen überrascht worden war, Blum gibt in seinem merkwürdigen Tagebuch auch kund, wie ein aus dem sicheren Bürgerleben lugender Unpolitischer den Verkauf der Männer betrachtete: »Über den heutigen Tag bin ich sehr vergnügt. Das 2te Bataillon des aufs cap. bestimten Herzogl. Regiments von 1000. Mann und einem corps Jäger von 200. Mann hat heute seinen Marsch angetreten.« Ihm war es ein farbiges Schauspiel, dem er in Anwesenheit von »Adeliche Herrschaften« beiwohnen durfte, und die Not scherte ihn nicht, aus der die Soldaten sich hatten rekrutieren lassen.
Nicht so unbedarft, doch so unbeteiligt hätte der siebzehnjährige Hölderlin ebenfalls notieren können. Noch bewegte er sich unter den Unangefochtenen, den durch Stand und Vermögen Sicheren. Selbst die Klage des neuen Herzensfreundes hatte ihn nicht erreicht. Denn die witzige-zartsinnige Anspielung aufs Kap in seinem ersten Brief an Nast hatte einen bitteren Grund: Nast, ohne viel Hoffnung, sich in seiner Stellung verbessern zu können, verbittert darüber, keine akademische Ausbildung genossen zu haben, erwog, sich für das Kap anwerben zu lassen.
Ich frage mich, wie sie darüber sprachen.
Nast wird sein Elend ausgespielt haben – und wie hat Hölderlin erwidert? Ich nehme an, ganz privat, alle Wirklichkeit aussparend, aus dem zärtlichen Augenblick argumentierend:
Des derfsch du net, Immanuel.
Ich bin niemand und werde nie jemand sein.
Daß du das sagst, wo du doch mehr weißt als ich.
Es ist besser, du sagst nichts mehr, Fritz.
Aber es geht doch um dich.
Du bist gescheit, aber du weißt nichts.
Immanuel, sei doch nicht so unverständig.
I bin’s nicht, ich bin bloß im Zweifel, ich seh kein Fortkommen.
’s isch guet, daß du da bisch.
Das sagt Nast, oder das sagt Hölderlin.
Und er braucht Immanuel, er hängt sich an ihn, dessen Wissensdurst ihn mitreißt, Nast ist der »Weltöffner«. Sie sahen sich oft, solange Hölderlin in Maulbronn war. Immanuel wurde von allen als ein Ebenbürtiger behandelt, was ihn natürlich dazu bewog, so oft wie möglich sich aus den Diensten auf dem Leonberger Rathaus zu befreien. Sie schrieben einander – auch an die späteren Freunde, an Neuffer, Magenau oder Sinclair hat Hölderlin selten so dringlich, so zugewandt geschrieben. Jedoch braucht er fast ein Jahr, ehe er Immanuel seine Liebe zu Louise anvertraut.
In Maulbronn wird er erwachsen. Er leidet unter seinen Gefühlen, flüchtet sich in Krankheiten, kann sich verschließen wie eh
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