Härtling, Peter
durfte er tatsächlich vor dem ersten Rendezvous geschrieben sein, und der Laufjunge, der das Treffen vermittelte, hatte auch heimlich Billetts auszutauschen, was gewiß gefährlich war, denn bekannt durfte nichts werden. Wo las sie die Botschaften? Wo versteckte er sie?
Sind wir noch imstande, den Reiz solcher Heimlichkeiten zu verstehen? Wie sehr die beiden zuerst befangen waren. Keine Worte fanden. Oder redeten sie sich über den Beginn hinweg, sprudelten, sagten Sinnloses, nur um sich zu hören? Sie waren, das ist sicher, aufeinander gestimmt, warteten aufeinander, und so fielen sie sich bald in die Arme: »Unaussprechlich wohl war mirs, als ich so oben am Berge ging, und Deinen Kuß noch auf den Lippenfühlte –« Louise wird bereits nach den ersten Begegnungen bemerkt haben, wie er seine Liebe durch Ängste und Zweifel beunruhigte. Aber noch ist der Überschwang, die Entdeckung des anderen stärker. Er hat, zum erstenmal, eine Gestalt gefunden, die sich idealisieren läßt, der er Sprache aufbürdet, in die eingeht, was er sich nicht auszusprechen traut: diese Furcht, jemandem zu nahe zu kommen und die Nähe auf Dauer dulden zu müssen.
Sehen wir uns morgen, Fritz?
Es wird nicht gehen, ich muß das Huldigungsgedicht für die Herzogin zu Ende schreiben. Es wird die ganze Woche nicht möglich sein, wegen dem hohen Besuch.
Ihr im Kloster übertreibt.
Dem Ephorus ist es wichtig.
Und dir auch.
Das ist einmal etwas anderes.
Und ich?
Bald, Louisle.
Daß sie sich nun ohne größere Hindernisse sehen konnten, verdanken sie Louises Cousin, Immanuel Nast.
Und wie er in Louise die erste Liebe fand, so in Immanuel den ersten »wirklichen« Freund. Wobei schon hier, im Vergleich, deutlich wird, daß seine Freundschaften unverhohlener und in ihrer ausgesprochenen Nähe bei weitem ungefährdeter sind.
Immanuel blieb allerdings eine Zeitlang ausgeschlossen, Hölderlin vertraute sich ihm erst an, als auch die Familie Nast schon einbezogen war und, nicht ohne Wohlwollen, der sich anbahnenden Verbindung zwischen der Tochter und dem Sproß einer angesehenen Nürtinger Familie zusah. So war Immanuel unwissend der Mittler.
Es ist eine Erzählung für sich. Es gibt einen überschaubaren Zeitraum mit Anfang und Ende. Endlich gibt es auch einen Hintergrund an Zeit, Andeutungen von politischer Erfahrung, es gibt das, was wir jetzt soziales Gefälle nennen.
Ich gebe zu, daß ich Partei bin, ich stehe auf Immanuels Seite, ich wende mich, für diese Spanne, nicht gegen Hölderlin, sehe ihm jedoch mißtrauisch zu und ärgere mich über einige Leichtfertigkeiten.
Immanuel war ein Jahr älter als Hölderlin und ein Neffe des Klosterverwalters, dem unvermögenden Teil der Familie angehörend, deshalb »am Studium gehindert«, obwohl im hohen Maße dazu befähigt, aufgeschlossen, »feinfühlig« und ein besessener wie kritischer Leser. In jener Zeit arbeitete er als Skribent auf dem Leonberger Rathaus. Ein intellektueller Hilfsarbeiter, einer, der im Hintergrund auf Ordres wartet, oft beleidigt allein durch die Situation.
Zum Neujahr 1787 besuchte er seinen Onkel in Maulbronn, wo er wohlgelitten war, doch mit der herablassenden Fürsorge behandelt wurde, die reiche Verwandte für Arme so schwer erträglich machte.
Es ist anzunehmen, daß Immanuel Hölderlin im Nastschen Hause einführte. Ohne Ahnung von den Beziehungen zwischen Hölderlin und Louise.
Das ist Friedrich Hölderlin von Nürtingen.
Er ist uns bekannt.
Wir haben uns angefreundet.
Das freut uns, Immanuel, für dich.
Dieses nachgetragene »für dich« ist für ihn erneut eine Demütigung.
Solche Gespräche sind erfunden. Aber hier handelt es sich nicht um Fiktion, die Gestalten farbiger machen will,sondern um Fiktion, die tradierte Verhaltensweisen in Floskeln festhält.
Möglicherweise hatte Nast von Hölderlins poetischen Versuchen gehört, denn seit einiger Zeit schickte Hölderlin seine Gedichte an Vertraute, hatte Freunde, Verehrer durch sie gewonnen wie den Carlsschüler Franz Karl Hiemer, der ihn malen würde. Auch an den auf dem Asperg eingekerkerten Schubart würde er bald ein Bündel Gedichte senden.
Ich lasse Immanuel, der eben aus Leonberg gekommen ist, in den Kreuzgang oder in den Klostergarten gehen; er beobachtet die neuen Alumnen, versucht bei dem einen oder anderen einen Gruß, fragt einen der Schüler nach Hölderlin. Der Angesprochene zeigt auf einen Jungen, der, die Hände auf dem Rücken, allein umhergeht, und der Anblick rührt Immanuel.
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