Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
Vom Netzwerk:
Bittsteller zurückgewichen waren, wie nur wenige sich trauten, den großen Mann anzusprechen. Auch in Nürtingen gab es Skribenten. Die hatte er kaum bei Namen gekannt und war von Gok auch nicht aufgefordert worden, sie zu beachten. Helfende Schatten am Rand. Nun hörte er von den Leiden und Ärgernissen derer, die sich auf der Treppe drängten, von ihrer Hilflosigkeit gegenüber den größeren Bauern, Pfründeninhabern und Höflingen, die ihnen nach Belieben das bißchen Land abluchsten, wie sie übers Ohr gehauen wurden, wie sie im Besitz der Besitzer blieben und sich in ihrer Ohnmacht nur noch mehr verstrickten. Wie Mädchen mehr oder weniger verkauft wurden. Wie Jungen ohne Habe sich an die Soldatenwerber verdingten. Von dieser Welt war er weit entfernt geblieben, hatten ihn Herkunft und Fürsorge verschont.
    Das mußt du wissen, Fritz, das ist auch da, sagte Immanuel.
    Er wiederholte es, so, als wolle er die Ungerechtigkeit dem Sanften neben sich einprägen.
    Die Neujahrstage sind frei. Er ist nicht nach Nürtingen gefahren, hat keinen Besuch von zu Hause. Immanuel, ebenfalls für einige Tage in Vakanz, war beim Onkel zwar gelitten, doch nie sonderlich geschätzt – nun konnte er Hölderlin vorführen, der ihn behandelte wie seinesgleichen, und die Aufmerksamkeit der Familie war gleich größer.
    Sie wanderten viel gemeinsam, hockten in der Stube, wechselten manchmal Neckereien mit den Nast-Mädchen, doch im Grunde war ihnen die Umgebung gleich. Sie redeten, redeten, offenbarten sich einander, versicherten sich immer wieder ihre Freundschaft. Hesler und Bilfinger schlossen sich ihnen zeitweilig an. Man ereiferte sich vor allem über Schillers »Räuber«, aus denen Immanuel ganze Dialoge zitieren konnte, wobei er natürlich am liebsten in die Rolle Karl Moors schlüpfte, ein in die Wälder getriebener Gerechter, und über Schillers Genius waren sie sich einig.
    Nast hatte Hölderlin befreit. Dennoch hat Hölderlin vieles, was Immanuel bewegte, kaum berührt. Nasts Erfahrungen waren nicht die seinen. Die Leiden eines Skribentendaseins gingen ihn nichts an.
    Nach dem Tag, an dem Immanuel nach Leonberg aufgebrochen war, sie sich ewige Freundschaft geschworen hatten, stand Hölderlin tief in der Nacht, »morgens 4 Uhr« auf, ihm zu schreiben. Alle Briefe an Nast werden den gleichen Ton haben. In einem vertrauensseligen, hochgestimmten Stakkato, rasch, als könne der Schreiber den Worten nicht folgen: »Bester! Ich schied ganz ruhig von Dir – es war mir so wohl bei den wehmütigen Empfindungen des Abschieds – und noch, wann ich zurückdenke, wie wir so in den ersten Augenblicken Freunde waren – wie wir so traulich, so vergnügt miteinander lebten, so bin ich zufrieden – daß ich Dich nur diese etlich Tage hatte; – O mein Teurer, es waren Zeiten, ich hätte um einen Freund, wie Du, einen Finger hingegeben, und wann auch mein Erinnern an ihn sich bis aufs Kap hätteerstrecken müssen –« ich unterbreche, denn wo so beiläufig von einem »Kap« die Rede ist, läßt sich die Entfernung zwischen den Freunden ermessen. Zweimal ist in Hölderlins Briefen vom Kap die Rede, zweimal nahezu ungerührt und ohne jeglichen Bezug auf die miserable Realität. Und dies, obwohl doch der bewunderte Schubart als Gefangener voller Wut, und sich neuen Pressionen des Herzogs aussetzend, das Kaplied geschrieben hatte, das die Bevölkerung Württembergs weckte und das man sang wie ein Rebellenlied:
    »Auf, auf! ihr Brüder, und seid stark,
    der Abschiedstag ist da!
    Schwer liegt er auf der Seele, schwer!
    Wir sollen über Land und Meer
    ins heiße Afrika.«
    Die Aufregung über die Anwerbung und den Verkauf der Männer an die holländisch-ostindische Compagnie muß bis zu Hölderlin gedrungen sein, eine politische Affäre, die jedoch nur die weniger Begüterten anging, Söhne, die kein Erbe zu erwarten hatten, mittellose, auf einen guten Sold hoffende Ehemänner, Abenteurer. Davon ist nichts bei ihm zu lesen. In einem Brief an die Mutter, in dem er sich über die Zustände im Kloster beklagt, kommt allerdings das Kaplied vor – als Parodie: »Dann das sind doch ordentliche Nahrungssorgen, wenn man so nach einem Schluck Kaffee, oder nur einem guten Bissen Suppe, hungert, und nirgends, nirgends nicht auftreiben kann. Bei mir gehts noch gut; aber da sollten Sie andre sehn, die einige Pöstchem vom Winter her noch zu berichtigen hatten, und jetzt den halben Heller nimmer im Beutelhaben – es ist zum Lachen, wenn die Leute aus

Weitere Kostenlose Bücher