Härtling, Peter
lassen. Du wirst es für unmöglich halten, gute Seele, einen andern zu lieben, wie Du mir schon so oft bezeugt hast – aber so mancher liebenswerte Jüngling wird indessen Dein Herz zu gewinnen suchen, so mancher achtungswürdige Mann um Deine Hand dich bitten, ich will heiter Dir Glück wünschen, wann Du einen würdigen wählst, und Du wirst dann erst einsehen, daß Du mit Deinem mürrischen mißmutigen, kränkelnden Freund nie hättest glücklich werden können.«
Nachdem er den Brief beim Boten wußte, kehrte jeder Satz in sein Gedächtnis zurück. Er schämte sich der Erleichterung.
Er trank: mit Neuffer, Magenau, Hegel und einigen andern verbrachte er laute, selbstvergessene Abende.
Louise wandte sich, verstört und hilflos, an Johanna, die freilich, wie auch später, sich vor den Sohn stellte, ohne ihn zu verstehen: er hat eine Zukunft ausgeschlagen, die sie für gut gehalten hatte. Sie wußte aber, daß er nicht anders handeln konnte. Dem Sohn beschrieb sie, traurig, das Unglück Louises.
Er beherrscht jetzt die Rolle des Flüchtigen. Er wird sie immer beherrschen. »Und daß ich von einer Person, die mir so teuer war, über meine Veränderung, die sie selbst für nötig einsah , und die mich tausend Kämpfe kostete, Vorwürfe hören muß, daß ich denken muß, du machst dem Mädchen traurige Tage – O liebe Mamma! so viel hab ich doch nicht verdient …«
Johanna erinnert sich, daß schon der kleine Fritz die Gabe hatte, Schuld auf andere zu wälzen. Dieser Brief tut ihr weh. Sie wird es ihm nicht sagen, nein, denn sie fürchtet seinen Jähzorn, aber sie wird um so mehr Louise zu trösten versuchen, ohne sein Wissen.
Er hat den Zustand der Gleichgültigkeit erreicht, den er mit Wohlbefinden verwechselt.
Die Mutter schreibt ihm im Sommer 1791, daß Louise sich in Köngen verheiraten werde. Er gibt sich erleichtert: »Die Neuigkeit, die Sie mir schreiben, beruhigt mich sehr –.«
»Ich habe mich entschlossen, von nun an in der Lage zu bleiben, in der ich bin.«
Er nimmt sich vor, ein wenig umgänglicher zu sein, aufmerksamer, und den Freunden ein guter Freund.
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Zweiter Teil
Studium
Tübingen (1788–1793)
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I
Freundschaften
Am 21. Oktober 1788 zieht Hölderlins Promotion in das Tübinger Stift ein. Die Umgebung wird deutlicher, das, was geschieht, faßbarer; es treten Gestalten auf, die ihre eigene Geschichte haben: Hegel, Schelling, Neuffer, Magenau; Stäudlin, der meine Zuneigung mehr hat als die anderen, über den ich vielleicht lieber schriebe als über Hölderlin; der Ephorus Schnurrer.
Noch wissen sie nichts von der großen Revolution in Frankreich. Im nächsten Frühjahr wird der französische Finanzminister Necker die Generalstände einberufen. Die Unruhen beginnen und reißen die Stiftler mit. Von diesem Moment an werden die Biographen Partei sein: die einen rechnen Hölderlin den Jakobinern zu, die anderen sehen in ihm den prophetischen Dichter.
Tübingen ist eine Stadt für Ansichten, für Veduten. Sie ist mir nah; die Veränderungen der letzten Jahre hat mein Gedächtnis ausgelassen. »Bäume irdisch, und das Licht, / darin der Kahn steht, gerufen, / die Ruderstange gegen das Ufer, die schöne / Neigung, vor dieser Tür / ging der Schatten, der ist / gefallen auf einen Fluß / Neckar, der grün war, Neckar«, schrieb Johannes Bobrowski. Er meint, wenn er von den Ruderstangen spricht, das »Stochern«: daß man schwere Kähne mit langen Stangen vorantreibt auf dem trägfließenden Wasser, das grün war, das noch immer ein wenig grün ist; und mit dem »Schatten« meint er den Schatten Hölderlins, diese Silhouette, die ich, wie Bobrowski, im Wasser sehe, entweder von den Anlagen aus oder auf der Brücke stehend, vorm Neckartor.
Hölderlins Tübingen war ein anderes als meines. Mit Romantik hat seine Erinnerung nichts zu tun, eher mit einem armseligen Leben. Jetzt redet Bloch hier. Damals hieß der Bloch Bök und widmete sich, ohne jegliches Ingenium, und Kant aussparend, »praktischer Philosophie«.
Ich bin nicht imstande, mir die elende, enge, stinkende Siedlung von damals vorzustellen, denn Alter und Enge sind für mich schön geworden. Ich habe mich durch den Staubgeruch in der alten Aula rühren lassen, habe am »Schimpfeck« den schwärzesten griechischen Tabak der Welt gekauft, bin, so jung wie Hölderlin damals, andächtig vor erhaltenen Vergangenheiten gewesen, vor seinem Turm, dem Presselschen Gartenhaus, der Stiftskirche, dem Stift mit dem Schloß,
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