Härtling, Peter
redet er auf Mutter oder Louise ein.
Wenn er ruhiger wird, sieht er sich im Handspiegel an, findet es angenehm, sich zu betrachten, fragt sich, wie Louise ihn sieht.
Er muß mit ihr reden. Er muß sie fühlen, muß sie hören, dann wird wieder gut, was ihn krank macht. Unvermittelt entschließt er sich, Louise zu besuchen, kommt beim Ephorus um eine Vakanz ein, und wandert die achtzehn Stunden Weg nach Maulbronn fast ohne Unterbrechung.Es ist einer der vielen Gewaltmärsche seines Lebens: halb wach, halb im Traum wandernd, kaum auf die Umgebung achtend – und wenn, dann mit einem vor Müdigkeit eigentümlich verschärften Blick.
Ist er angekommen, drängt es ihn wieder fort.
I han koi Zeit, Louisle.
Ruh dich aus.
Die Eltern Louises begegnen ihm freundlich, wenn auch wachsam.
Sie merken seine Verwirrung und nehmen, während er schläft, Louise ins Gebet. Er sei eben doch ein Schwieriger, wie sie’s ja immer gesagt hätten.
Ihr habt schon recht.
Sie gehen am Morgen im Garten spazieren. Es gelingt ihr, ihn zu beruhigen. Sie streichelt ihn, hält ihn im Arm. Aber es kommt ihr vor, als halte sie ihn eigentlich nicht, oder als halte sie ihn so, wie in ihren Träumen.
Mit der Familie trinkt er Kaffee, Nast erzählt von der neuen Promotion, vom Nachfolger Weinlands; Hölderlin sieht hinüber zum Klosterbau, ihm geraten Vergangenheit und Gegenwart durcheinander. Jetzt schon.
Es wird, in Andeutungen, über beider Zukunft gesprochen. Er weicht aus. Erst müsse er fertig studieren. Und die Vikarsstellen seien meistens saumäßig.
Er sagt leise, für die anderen kaum verständlich: I brauch Zeit.
Er verabschiedet sich rasch; Louise geht mit ihm über den Hof.
Er hätte sich ein Pferd mieten sollen.
Das könne er sich nicht leisten.
Sie lacht, faßt seinen Arm. Er sei schon komisch.
I woiß.
Sie traut sich nicht, ihn vor den Blicken der Eltern, der Schüler zu küssen.
Ade, Fritz.
Ade, Louise.
Er schrieb ihr gleich aus Tübingen. Er wünschte, sie bei sich zu haben. Es würde gut sein, wenn sie einmal seine Frau sei. Keine andere könne er sich denken.
»O lieber Gott! was müssen das für selige Tage sein, da wir auf ewig vereint so ganz füreinander leben – Louise – was werd ich da an Dir haben …«
Neuffer und Magenau sind ihm jetzt die nächsten.
Er ärgert sich, daß ihn Hegel und Märklin, die neu hinzugekommenen Stuttgarter, in der Lokation verdrängen: er steht jetzt an achter Stelle.
Das sture Reglement im Stift bringt ihn auf.
Es ist alles so stumpf, so unbelebt wie die vergangenen vier Jahre.
Er habe »Grillen«, sagen sie.
Ihr versteht mich nicht. Ich bin nicht fähig, ein Leben wie die anderen zu führen, sagt er zu Neuffer.
Sie gehen miteinander spazieren, über den Schloßberg, auf das den Österreichern gehörende Hirschau zu. Neuffer will ihn beruhigen: er habe doch alle Hoffnungen mit seiner Poesie. Da könne ihn auch die Pfarrtätigkeit nicht drausbringen.
I ziel höher, Neuffer, sagt er.
Neuffer erwidert: Du hast keine Geduld.
Da hast du recht.
Nun erscheint ihm Louise arm, in ihren Ansichten redlich und eng und in ihrer Liebe ahnungslos. Es war ein Irrtum. Zwar hat er diese Liebe gebraucht, dennoch war es ein Irrtum. Er deutet es ihr in Briefen an. Sie übergehtdie zunehmende Unsicherheit, läßt sich auf seine Selbstzweifel nicht ein:
»Da siz ich liebe Seele, es ist so still so schauerlich, o und es ist mir so wohl wan ich ganz allein, von Menschen entfernt bin …«
Diese Liebe ist nur noch ein Gewicht. Er muß es abwerfen. Er tut es in einem schrecklichen Anlauf, alles auf einmal aufzugeben. Jeder Satz in diesem Brief hat einen anderen Ton. Es ist eine ausgeklügelte Dialektik der endgültigen Lösung:
»Dank, tausend Dank, liebe Louise, für Deinen zärtlichen, tröstenden Brief! Er hat mich wieder froh gemacht. Ich glaube wieder an Menschenglück. Die Blumen machten mir unbeschreibliche Freude. Ich schicke Dir den Ring und die Briefe hier wieder zurück. Behalt sie, Louise! wenigstens als Andenken jener seligen Tage, wo wir ganz für uns lebten, daß uns kein Gedanke an die Zukunft trübte, keine Besorgnis unsere Liebe störte. Und weiß Gott! Louise! ich muß offenherzig sein – es ist und bleibt mein unerschütterlicher Vorsatz, Dich nicht um Deine Hand zu bitten, bis ich einen Deiner würdigen Stand erlangt habe. Unterdessen bitt ich Dich, so hoch ich kann, gute teure Louise! Dich nicht durch Dein gegebnes Wort, bloß durch die Wahl Deines Herzens binden zu
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