Härtling, Peter
Gemeinheit der Lehrer schrumpft bei ihm zu einer Klage über Kaffeemangel. Nichts über die Steuerpresserei des Herzogs, nichts auch über die Halsbandaffäre Rohans und Marie Antoinettes in Frankreich, über die Unruhe der Stände; er hört davon, das ist sicher, er liest es, und es ist auch anzunehmen, daß Nast oder Bilfinger oder nun auch Magenauihre Glossen machen, vielleicht sogar mehr: er solle doch endlich frei herausreden. Er hält sich zurück. Wem jedoch würde er nicht zustimmen, der Gerechtigkeit verlangt – das ist ein allgemeiner Wunsch. Es wird Stärkere brauchen, die ihn verwunden und parteiisch machen können.
Immerhin scheint er, ohne auf Blum und Rike Volmar zu achten, die Fluchtgeschichte Schillers zu memorieren, auch in Wut, denn »von dem Lustschloß der Kurfürstin kann ich nichts eigentliches sagen – ich sah nichts – als Häuser und Gärten, dann Schiller ging mir im Kopf herum.«
Sie reisten über Frankenthal wieder zurück nach Speyer, wo er am Abend noch einmal den Rhein erlebt, »mein Geist flog ins Unabsehliche«. Zu Pferd, allein, kehrt er am 6. Juni über Oggersheim und Bruchsal ins Kloster zurück, wo er, ärger als zuvor, die Enge spürt. Er wendet sich, schwärmerisch, wieder Nast zu.
Von nun an wird die Zeit rascher.
Im Juli stirbt Weinland, der Prälat, auf den sie gehofft hatten und der nichts hielt.
Das Maulbronner Abschlußzeugnis ist gut, in Poesie ist er »vorzüglich« und im Griechischen »ferm«.
Er freut sich, bald fortzukommen. Nur Louise ist unglücklich. Sie versichern sich die Ewigkeit ihrer Liebe, »der Trennung Jahre, / Sie trennen uns nicht«.
Die Promotion feiert gebührend Abschied, er reitet nach Leonberg, zu Immanuel, dem er zuvor, in einem auftrumpfenden Brief, noch weitere Freunde versprochen hatte. Aber die geplante Reise nach Stuttgart kommt nicht zustande. Sie bleiben in Leonberg. Louise ist oft da. Er ist entspannt, glücklich. Ende September wandert ernach Nürtingen, von wo aus er gleich an Louise schreibt, und plötzlich wird seine Erinnerung dinglich, kann er einen Schauplatz sehen, wird die Bühne real, ein einziges Mal: »Es ist mir so wohl, wann ich daran denke, wie ich oft so gedultig, und doch so voll der innigsten Sehnsucht an jenem Plätzgen wartete, bis ich die Teure am Fenster sah, und wie er mich entzückte, der Gedanke, daß Du in der ganzen lieben Welt auf nichts blicktest als auf Deinen Hölderlin … und wann ich Dich aus Deinem Haus dem Kreuzgang zu gehen sah.«
Johanna stimmt der zukünftigen Verbindung mit Louise zu. Sie wird beruhigt sein, sich seine Zukunft ausmalen: ein Pfarrer mit einer braven Frau. So kennt sie es. Louise und er wechseln Ringe. Sie schreibt mehr Briefe als er.
Die Herbstferien machen ihn wieder kindlich. Er findet Freunde von früher. Sieht Bilfinger oft. Ist zur Weinlese auf den Hängen der Teck. Schreibt. Und was er gut findet, was er mitgenommen hat aus den Klosterjahren, trägt er in ein Heft ein. Er muß das Gefühl gehabt haben, eine Zeit abzuschließen.
Am 21. Oktober zieht seine Promotion in das Stift in Tübingen ein. Außer den Maulbronnern noch vier Schüler des Stuttgarter Gymnasiums, Hegel, Märklin, Autenrieth und Faber.
Mit Neuffer und Magenau wird er bald einen Freundesbund gründen. Die Freundschaft mit Immanuel Nast dagegen endet. Immanuel, der ihm geholfen hatte mit seiner Offenheit und Klugheit, ist nun zu weit entfernt. Er, der nur ein Schreiber ist, kann nicht zum Kreis gehören.
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VI
Die dritte Geschichte
Die Umgebung, die Stube, in die er mit anderen eingezogen ist, gleicht der, aus der er ausgezogen ist. Denkendorf, Maulbronn oder jetzt Tübingen – sie wären austauschbar, hätten sich nicht doch Atmosphäre und Gesichter geändert.
Ihm erscheint alles noch enger. Als käme es auf ihn zu und wollte ihn ersticken. Er plant Fluchten, wünscht Jura zu studieren, beunruhigt die Mutter, auch die Geschwister und Louise. Er kränkelt und spielt den Gekränkten.
Häufiger noch als in Maulbronn zieht er sich in den ersten Tübinger Monaten zurück, grübelt, arbeitet an Gedichten, schreibt an Louise. Und während er an sie denkt, sich ihre Erscheinung ins Gedächtnis ruft, auch, wie er sie berührte, umarmte, küßte, während er in Sätzen ihre Nähe sucht, fürchtet er sie auch.
Die Mutter hatte ihn angefleht, zu Ende zu studieren, Pfarrer zu werden. Gut, sie solle ihm den schwarzen Rock schon nähen lassen.
Er schreibt.
Er neigt zum Selbstgespräch.
Manchmal
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