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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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meinte, Elise Lebret. Er wollte Hänseleien nicht provozieren. Er hatte sich auch von dem Gedicht fortgelebt. Zwar überfielen ihn Mißmut und Lebensunlust noch immer, doch damals vergaß er Louise, und dabei half ihm Elise.
    Ob er merkte, wie weit er sich von den Gedichten entfernt hatte? Daß er weiter war, seine Empfindungen treffender fassen konnte? Die Widmung an die Mutter läßt es ahnen. Selbstverständlich schickt er ihr gleich ein Bändchen. Sie war seine erste Leserin. Und wenn er seine Freude weitergeben wollte, dann ihr: »Lassen Sie mich, liebste Mutter! das Wenige, das Sie hier von mir finden werden, Ihnen weihen. Es sind Jünglingsversuche. Sie würden, wenn auch die Art von Gedichten unserm Zeitalter angemessener wäre, wenig Glück machen bei unsern Lesern, und Leserinnen. Aber vielleicht einmal etwas Besseres! Dann werd ich stolz und dankbar sagen: dies dank ich meiner Mutter – ihrer Erziehung, ihrer fortdauernden Mutterliebe, ihrer Freundschaft zu mir.«
    Neuffer nimmt Abschied. Er rät Hölderlin, der schon seit Wochen über die kommende Vereinsamung klagt, eineFurcht, die ihn schweigsam und finster macht, er rät ihm, häufig nach Stuttgart zu kommen, ihn in den freien Tagen zu besuchen, bei ihm zu logieren. Hölderlin beneidet den Gefährten um die Selbstsicherheit, wie er, obwohl er doch auch an seinen Gaben zweifeln könnte, unangefochten lebte. Neuffer fiel alles leicht: Kaum zurück in Stuttgart, das großzügige Elternhaus im Hintergrund, versammelte er einen großen Kreis Angeregter und Anregender um sich, in den er Hölderlin, wann immer er anwesend sein konnte, herzlich einbezog. Dennoch scheint Hölderlin auf einige wie ein Fremdling gewirkt zu haben.
    Die Zurückbleibenden haben es nicht leicht mit ihm. Er gibt seinen Launen nach, verschließt sich, lehnt es ab, mit ins »Lamm« zu ziehen. Sie lärmten doch nur und ersäuften ihre Ängste in saurem, billigem Most. Am 10. Oktober 1791 stirbt Schubart. Die Nachricht verbreitet sich rasch im Land. D’r Schubart isch tot! Hölderlin weiß über Stäudlin seit längerm, daß Schubarts Zustand, vor allem durch das maßlose Saufen und Fressen bedenklich sei.
    Von nun an liest Hölderlin die »Chronik« als Botschaft Stäudlins. Wenn er einem in seinen politischen Gedanken traut, ihm zu folgen bereit ist, dann ist es Stäudlin. Schon nach einem Monat ruft Stäudlin in der »Chronik« die Dichter des Landes zu einer »Lyrik hohen Stils« auf. Er hatte dabei sicher auch an Hölderlin gedacht, an dessen neue Hymnen, wie die an die Menschheit mit dem Motto aus Rousseaus »Contrat social«, die er schon kannte und die am ehesten seinem Ideal einer dem Zeitgeist verbundenen Dichtkunst entsprachen: »Wie … reichen Stoff zu kühnen auf alle Welt wirkenden Dichterwerken gibt nicht seit mehrern Jahren der Geist der Zeiten.«
    Für Hölderlin setzen sich die Stuttgarter Unterhaltungen im Geschriebenen fort.
    In der Herbstvakanz hatte er Stäudlin besucht, gemeinsam mit Neuffer, ihn in einer kleinen Runde angetroffen, die ihm nicht vertraut war. Allerdings kam wenig später Conz hinzu, den er bat, sich neben ihn auf die Chaiselongue zu setzen, »damit ich einen Halt habe, weil ich noch ein wenig fremdle«. Dann jedoch glich alles ihren Sitzungen auf der Augustinerstube. Immer gab es Bewegung. Stäudlin wanderte, während er redete, ruhelos hin und her, Conz sprang dann und wann auf, wobei er jedesmal mit einer Geste, die ihm nicht mehr bewußt war, die Weste über den Bauch zog. Neuffer blieb gelassen und behaglich sitzen. Ludwig XVI. war, nachdem Lafayette einen Vorführungsbefehl gegen ihn erlassen hatte, nach Varennes geflohen. Sie hatten darüber in Flugschriften und in der »Minerva« gelesen, in anderen Blättern, die vor allem von den Mömpelgardern gegen das Verbot des Ephorus ins Stift eingeschmuggelt und über Nacht unterm Stein im Garten am Neckar deponiert worden waren. Sie kannten die verschiedensten Ansichten. Neuffer war emigrierten Aristokraten begegnet und erzählte, zögernd, von den Greueltaten des Pöbels. Sie hätten Menschenköpfe auf Spieße gesteckt.
    Das hätten die feinen Herren doch nur erfunden, um die Republik zu beschmutzen.
    Und Lafayette, ist der nicht ebenso von Adel, oder der Herzog von Agouillon?
    Sie waren belesen, waren kundig.
    Außerhalb des Stifts trugen manche von ihnen die Kokarde und grüßten sich mit »vive la liberté« und »vive la nation!«
    Ja, es gebe Ausschreitungen, doch auf den Enthusiasmus

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