Härtling, Peter
überschwenglich. Des isch mir wichtig g’wese, Monsieur. Stäudlin forderte ihn noch unterm Tor auf, alle neuen Gedichte zu schicken.
Jede Zeit hat ihre Sprache. Diese irrt zwischen Himmel und Erde. Sie sucht nach Göttern und Geistern, baut arkadische Landschaften, modelt an einem Menschenbild, das bieder und hochfahrend in einem ist. Sie findet Wörter, Begriffe, die sich von dem lösen, was sie fassen sollen. Eine Sprache, die der Dürftigkeit, der Gemeinheit mißtraut; die Wörter wollen rein bleiben, verleugnen Schmutz und Schweiß – so rein, wie es ihre Hoffnung auf den neuen Menschen ist.
Die bevorstehende Änderung der Statuten hält sie zusammen, selbst die Gleichgültigen und Leichtfertigen – sie haben keine andere Wahl. Sie wissen, daß Schnurrer, der Ephorus, mit dem Herzog Briefe in dieser Angelegenheit wechselt, daß es einen Entwurf geben soll, aber die Angelegenheit zieht sich hin. Bengel, einer der Repetenten, schreibt an Neuffer: »Den Stipendiaten ist es gegenwärtig wegen der bevorstehenden Reform bänger als je; sie wollen sichs aber nicht nachsagen lassen, sondern behaupten hautement , sie werden durch ihre Protestationen dem Ding schon eine andere Gestalt geben.«
Das Ding nahm, ein knappes Jahr darauf, die Gestalt an, wie sie sich der Herzog wünschte.
Zur gleichen Zeit, die Gerüchte müssen alle hysterisch gestimmt haben, schreibt Hölderlin an Heinrike: »Die neueren Nachrichten lauten gar nicht gut … Wir müssen dem Vaterlande und der Welt ein Beispiel geben, daß wir nicht geschaffen sind, um mit uns nach Willkür spielen zu lassen. Und die gute Sache darf immer auf den Schutz der Gottheit hoffen.«
In solch einem Brief, der nicht nur an Heinrike gerichtet ist, auch an die Mutter, Köstlin und Kraz, nicht zuletzt an Karl, den er nach seinen Vorstellungen führen und erziehen will, in solch einem Brief sprechen die Gefährten mit, er bündelt alle Erregung, faßt Debatten zusammen, läßt zu Schlagworten werden, was sie, bedrängt, tatsächlich empfinden: Daß sie nicht mehr allein, daß Unruhe und Widerstand gewachsen sind, daß der Herzog nicht nur mit einer Handvoll Stipendiaten zu rechnen hat, sondern mit dem Zeitgeist.
Im Frühjahr 1792 kam der achtzehnjährige Leo von Sekkendorf nach Tübingen, um sein Jurastudium zu beginnen. Also kein Stiftler. Lang blieb er dem Freundeskreis nicht erhalten. Bereits im Herbst desselben Jahres rief ihn sein Vater nach Hause, die Tübinger Universität bot dem Ehrgeizigen zu wenig. Nichtstun und ablenkende Lustbarkeiten seien an der Tagesordnung.
Erst einmal aber ließ er sich auf alles ein, was ihm geboten wurde. Neugierig und abenteuerlustig fand er Anschluß. Dazu halfen ihm schriftliche Empfehlungen desVaters. Im Lebretschen Haus war er ein bald ebenso gern gesehener Gast wie bei anderen Professoren. Man fand ihn gescheit, wendig, schätzte seine Höflichkeit. Daß er mitunter vorlaut sei, hielt man seinem Alter zugute.
Er rede jedem nach dem Maul. Hegel mochte ihn nicht. Hölderlin hingegen gefiel gerade das Weltmännische. Er hätte sich gern so leicht, gefällig bewegen wollen. Diesem Burschen wurde nichts schwer, zu verletzen war er kaum, da er dazu keinen Anlaß bot. Bei den Mädchen gewann er ebenso wie bei den Studenten.
Er führte Hölderlin nicht in den politischen Klub ein, in den Jakobinerzirkel. Denn Hölderlin war mit Hegel schon einige Male Gast gewesen, hatte sich aber zurückgehalten, und die groben Späße der Mömpelgarder hatten ihn abgestoßen. Es mißfiel ihm, wenn sie ihrer Überzeugung mit Bubengebrüll Nachdruck verliehen.
Des g’hört dazu. Hegel hielt seine Ablehnung für übertrieben.
Die beiden Stiftler Fallot und Bernard, die neben einem undurchsichtigen, sich stets in Andeutungen ergehenden Studenten namens Wetzet die wichtigste Rolle spielten, kannte und schätzte er. Sie waren Feuerköpfe, keine brillanten Theologen, doch verständig, und wenn es um die Sache ging, ohne Hehl. Sie waren parteiisch und gaben es – im Gegensatz zu vielen andern, die sich geschickt tarnten – offen zu. Das hatte sie bei einigen Professoren unbeliebt gemacht, und die orthodoxen Repetenten plagten sie mit zusätzlichen, vertrackten Aufgaben. Da man sich immer privat traf, die Wohnungen hin und wieder wechselte, konnten sich ungebetene Schnüffler kaum anschließen. Dennoch vermutete Hegel, stets mißtrauisch, Aushorcher des Consistoriums oder des Kanzlers in derRunde. Besonders hatte er ein Auge auf Knebel, einen
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