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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Brissot hatte uns gebeten, beim Aufwerfen der Rasenwälle rings um das Feld zu helfen. Von denen aus sollte das zuschauende Volk einen weiten Blick über das Schauspiel haben. Außerdem schleppten wir ein Zelt mit uns, das wir, wie viele andere, aufrichten wollten, um das Fest in die Nacht ausdehnen zu können. Mir kam es vor wie ein Ausflug in ein neues Zeitalter. Und nicht allein ich empfand so. Viele! Von älteren Milizionären wurden wir zur Arbeit eingeteilt. Lachend, Witze erzählend, schickten wir uns in die uns ungewohnte Tätigkeit. Vornehme Damen schenkten Wasser und Wein aus. Manche waren trunken,ohne daß sie nur einen Schluck Wein zu sich genommen hätten. Vom Glück, das sie atmeten. Vor der Militärschule, an dem kleinen Fluß, der das Marsfeld abgrenzt, waren winzige Gärten angelegt und ein großes Zelt aufgestellt worden, in dem sich der König, die Königin und der Hofstaat würden aufhalten können. In einem weiten Kreis standen dreiundachtzig Masten, an denen die Fahnen der Departements wehten. Ihnen und dem Königshügel gegenüber der Altar, an dem dann Talleyrand die Messe las. Welche Farben! Welches Licht, das dieser heilige Tag seinen freien Bürgern schenkte! Bald verbreitete sich die Nachricht, daß der Zug der Föderierten, die gewaltigen Kolonnen der Nationalgarde, sich auf das Feld zubewege. Rufe wurden laut: Vive la liberté! Vive la nation! Auch vive le roi! war zu hören. Das klang nicht für alle Bürgerohren lustig. Die königliche Familie hatte inzwischen ihr Zelt bezogen. Die Höflinge hielten sich zurück. Endlich sah man die Kolonnen. Sie marschierten rasch, ungeduldig, strömten unter dem Jubel aller in das Karree ein, die Milizen rissen die Arme hoch, schwenkten die Mützen, Frauen und Männer brachen in Tränen aus, Kinder faßten sich an den Händen und tanzten. Nachdem Talleyrand, der mir und meinen Freunden zuwider war, ein Götzendiener, glatt und schlau, seine fromme Pflicht erfüllt hatte, trat der wunderbare Lafayette, der Befehlshaber der Nationalgarde, vor den Altar. Den Hut mit der Kokarde in der Hand. Alle nahmen die Hüte ab. Ein Schweigen, das die Luft still machte, legte sich über die unübersehbare Menge. Er, unser Lafayette, sprach den Eid für die Nation, das Gesetz und den König. Hätten wir nur hinter seine Stirn sehen können, wie hinter die des Königs. Wußte er damals schon, daß dem Monarchender Bund des Volkes gleichgültig war, daß er ihn verraten würde? Ach nein, denn wir alle befanden uns in einem Zustand neu gewonnener Arglosigkeit, wir, die Kinder der Revolution. Die Zeremonie war beendet, das Fest aber nicht. Die Marschsäulen zerbröckelten unter der Freude. Man lustwandelte, verbrüderte sich, traf sich in den Zelten, aß, trank, spielte mit den Kindern. Gruppen tanzten, wanden Girlanden um andere. Frauen warfen Blumen über die Seligen – bis zur Nacht die Zelte von unzähligen Lichtern hell wurden, bunte, durch die Finsternis treibende Inseln, und die Brüder sich um die langen Tafeln setzten, noch einmal den vergangenen Tag zu feiern. Reden wurden gehalten, Lieder wurden gesungen, erst von wenigen, bis sich die Melodie den Weg übers ganze Feld brach und ein tausendstimmiger Chor zu den Sternen donnerte. Kennt ihr das? Gerber fing an zu singen, und da die meisten von ihnen das Lied kannten, fielen sie ein:
    Du législateur tout s’ accomplira …
    Celui qui s’ abaisse, on l’élévera,
    Celui qui s’ élève on l’abaissera,
    Ah! ça ira, ça ira, ça ira!
    Conz fing sich als erster, spottete über die Befangenheit, die sich nach dem Singen eingestellt habe: Also, Freunde, so rechte Revolutionäre sind wir alle nicht. Außer, natürlich, Herrn Gerber. Nur möchte ich zu bedenken geben, daß Lafayette sich nicht mehr in Paris aufhält, der König dafür zurückgeholt worden ist, daß die Nationalgarde diesmal, lieber Monsieur Gerber, auf dem Marsfeld auf die Bürger schoß und daß um der lieben Freiheit willenein beträchtliches Durcheinander herrscht. Dann wandte er sich Hölderlin zu, faßte ihn: Du sagsch nix? Du schweigsch?
    I hör lieber zu.
    Er hätte sagen können, daß ihm Gerbers Erzählung wie die Vision eines kommenden, nicht eines vergangenen Festes erschienen war, die Feier eines endgültigen Friedens – daß es nur an der einen Stimme fehle, an der Stimme des Einen, Einenden, auf die er und die anderen warteten. Sie hätten ihn nicht verstanden.
    Mit Neuffer brach er auf. Bei Gerber bedankte er sich fast

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