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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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aller, auf die neuen Ideale komme es an.
    Conz versucht zu beschwichtigen. Es ist wahr, der Enthusiasmus, dem du so ergeben bist, Stäudlin, war nützlich, hat schnell gewirkt. Eine solche große Sache kann man nur mit seiner Hilfe beginnen und fortsetzen. Doch ebenso hat dieses Ungestüm geschadet. Diese jungen Männer, denkt nur an Robespierre, sind voll Feuer und Genie, doch es mangelt ihnen an Erfahrung und Kenntnis.
    Dies werde der Jugend stets vorgeworfen.
    Und von den einzelnen zu sprechen, sei müßig. Alle, Adlige, Bürger und Geistliche, seien ergriffen.
    Ja, ich hab’s mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Sinnen erlebt. Das ist nicht nur ein Rausch, Freunde, das ist eine Angelegenheit für den prüfenden Verstand.
    Der das sagt, und so die Aufmerksamkeit aller auf sich zieht, hatte am Rande gesessen, sich geradezu versteckt gehalten neben dem Schreibtisch Stäudlins, ein schmächtiger Mann von etwa dreißig Jahren, elegant gekleidet, mit einem früh gealterten Gesicht, in dem sich Augen, Nase und Mund auf engstem Raum drängten, als zöge sie ein immerwährendes säuerliches Gefühl zusammen. Der Mann mußte diesen Eindruck, den er auf andere machte, kennen, denn er warf sich in Positur, wollte mächtiger erscheinen, was ihm auch gelang, da er ein außerordentlicher Redner war.
    Wer ist das? fragte Hölderlin leise Conz.
    Des isch d’r Wilhelm Gerber. Der ist mit dem Reinhard in Paris gewesen und geht wohl wieder zu ihm zurück.
    Erzähl, bat Stäudlin ihn. Du weißt es aus eigener Anschauung. Wir können hier nur lesen, träumen. Erzähl von der Bundesfeier. Das geht mir immer wieder ans Herz.
    Da habe man viel gelesen. Auch bei Humboldt.
    Aber so nicht, wie ich es erlebt habe, sagt Gerber, nicht ohne Hochmut. Erinnert ihr euch, wie die Föderation anfing, wie das Volk begriff, daß es eine Nation sei? Ein Bretone hatte da für alle gesprochen und ich habe es mir bis aufs Wort gemerkt: Wir erklären feierlich, daß wir nicht Bretonen und nicht Angevins sind, sondern Franzosen und Bürger desselben Reiches. Wir verzichten deshalb auf alle unsere Sonderrechte und schwören ihnen als verfassungswidrig ab. Wir sind froh und stolz, frei zu sein.
    Gerber hatte seine Umgebung vergessen. Er stand vor einer unüberschaubaren Menschenmenge und rief mehr als daß er sprach. Sie hätten ihn kurios finden können, aber sein Ernst, die auch sie ergreifende Gegenwart der Erinnerung, gestatteten es nicht.
    Wenn’s hier nur schon so weit wäre, sagte Stäudlin nach einer Pause, nicht Württemberger und nicht Hesse.
    Das wird den Preußen nie schmecken, sagt Conz.
    Ja, ja, warum du nur deine Vernunft stets fütterst und uns die Mutlosigkeit läßt.
    So habe er’s nicht gemeint. Er wünsche sich, wie die Franzosen, ein freies Vaterland.
    Zum ersten Mal sprach Hölderlin: Ich frag mich, ob das Vaterland, so wie wir es jetzt meinen, auch das Vaterland sein wird für unsere Enkel. Vaterland ist die große Heimat der Gerechtigkeit und der Freiheit, es ist ein Ideal, und es kann nicht eingeengt sein durch Sprache und Grenze. So wie das Griechentum –
    Stäudlin unterbricht ihn: Er habe recht und so wie er dächten wohl alle in diesem Kreise, nur sollte Gerber jetzt das Föderationsfest schildern, diese arkadische Feier, diese wunderbare Begründung eines Bundes der Freien.
    Wenn der nicht auch ein Schwärmer ist.
    Laß dich durch unsere Unruhe nicht drausbringen, Gerber. Gerber lief, erzählend, zwischen ihnen hin und her, kaum auf sie achtend, manchmal hob er die Hände, um den vergangenen, dennoch ganz präsenten Eindruck so zu beschwören, daß auch sie unmittelbar daran beteiligt seien: Eigentlich hätte es ja ein Fest der Nationalgarde mit den Bürgern sein sollen. Am Ende ist es viel mehr geworden, gegen den Willen des Königs und Talleyrands – ein Versöhnungsfest des Volkes, die Feier der Einheit. Schon im Morgengrauen war ich, in Begleitung einiger Freunde, unterwegs zum Marsfeld. Das ist ein weiter Platz unmittelbar vor der Militärschule und nicht weit vom Hôtel des Invalides. Die Luft sang, ich kann es nicht anders sagen, sie prickelte, sie glühte noch ohne Licht. Die halbe Stadt war auf den Beinen. Man rief sich Grüße zu, Scherze, immer wieder hörte man Lieder. Ein jeder genoß die Brüderlichkeit, über die nicht mehr gesprochen wurde, die sich, wenn ich nur wüßte, wie ich es ausdrücken soll, ausgebreitet hatte, wie ein heilsames Fieber. Verzeiht, das ist kein glücklicher Vergleich. Herr von

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