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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Despotenfluch bekamen Hintergrund. Nicht, daß sie alle gleich zu entschiedenen Republikanern geworden wären – sie waren unter Monarchen aufgewachsen, wie die Eltern auch und konnten sich kaum etwas anderes vorstellen. Deswegen wurde die Schweiz auch zum bestaunten Beispiel. Und sie hatten, wenngleich sie um Freiheiten fochten, Pfründen zu verteidigen, Privilegien, die sie aus der Masse hervorhoben, denn viele von ihnen kamen aus begüterten und nicht selten vom Herzog höchst eigen unterstützten Elternhäusern, in denen Wohlverhalten tägliche Übung war. Sie kannten allein ihre Unfreiheiten und Bedrückungen, vermochten sie nicht zu vergleichen mit denen anderer Stände, wußten zwar, daß man litt, nah aufeinandersaß, erfuhren im täglichen Umgang die Lebensbedingungen von Handwerkern, Bauern, Taglöhnern, aber deren Ängste und Hoffnungen waren ihnen unbekannt. Die Stände hatten ihre Grenzen gezogen. Selbst in der Unruhe überschritt man sie nicht. Also war es, stritten sie auch für allgemeine Menschenrechte, allgemeine Freiheiten, erst einmal ihre Revolution. In ihrer Herkunft veränderte sich die Gruppe der Rebellen, der Gegendenker über die Jahre, bis zum Schock der napoleonischen Kriege, kaum. Theologen, Juristen, Literaten und einige wenige Beamte, wie der Ludwigsburger Bürgermeister Baz, der Homburger Hofrat Sinclair, der Regierungsdirektor Seckendorf. Es ist ein Zirkel, in dem Verständigungen, weil sie gelehrt und geübt wurden, einfach sind.
    Dieser Kreis umgibt Hölderlin bis zu seinem traurigen Einzug in den Tübinger Turm. Manche Gespräche wiederholen sich leitmotivisch. Er muß da gar nicht mehr mitreden.
    Wieder trennt er sich mit einem Abschied von einer Lebensphase. Dieses Mal wendet er sich nicht ab, wie von Immanuel Nast, sondern Magenau verläßt vorzeitig das Stift, und Neuffer wird zwei Monate danach eine Vikarsstelle am Stuttgarter Waisenhaus übernehmen. Der Bund der Aldermänner löst sich auf. Den Traditionen, die sie sich selbst gesetzt hatten, waren sie ohnehin nur noch leger nachgekommen, keiner hatte mehr Gedichte ins Bundesbuch eingetragen, keiner Referate geschrieben.
    Schon Tage vor Magenaus Auszug bereiteten die Freunde das Fest vor. Vor allem für einen ordentlichen Wein mußte gesorgt werden. Auf Neuffers und Magenaus Stube trafen sich am frühen Abend ein gutes Dutzend Stipendiaten, Freunde mehr oder weniger, einer hatte sich bereit erklärt, die Tafel zu richten, so daß, als sie lärmend eintraten, alles schon bereitet war und sie sich »zum brüderlichen Mahl« setzen konnten. Die drei Aldermänner, der Kern der Freundesrunde, hatten sich nebeneinander gesetzt, Magenau zwischen Neuffer und Hölderlin, und aus Wehmut waren sie nicht imstande, sich zusammenhängend zu unterhalten.
    Ich lasse Neuffer, weil ich mir Hölderlin in dieser Rolle nicht denken kann, aufstehen, das Glas in der Hand; er legt die linke Hand auf die Schulter Magenaus, beginnt zu sprechen:
    Brüder! Aus unserer Freundesrunde bricht einer aus. Magenau nimmt Abschied. In acht Wochen werden die meisten von uns gehen. Faßt euch der Kummer? Oh ja. Nicht dieser Stätte, diesem Kloster weinen wir nach, sondern einem Bund, der uns half, auch in kältester Bedrängnis auszuhalten. Was war uns das alles, wenn wir unsere Herzen vereinten? Nichts! Und nun, da sich die Geister der Freiheit selbst in diesen Mauern regen, verlassen wir die Schule. Es soll sein. Den Zurückbleibenden aber, lieber Hölder, versichern wir herzliches Gedenken und häufigen Besuch. Nichts wird den Bund brechen können! Das aufkommende Morgenlicht, die göttliche Freiheit wird uns gemeinsam führen in eine Menschengesellschaft, die unsere Marter nur noch als finstre Geschichte sich erzählen wird.
    Die Zuhörer wunderten sich. Bisher hatte sich Neuffer aus den Streitgesprächen über die Revolution zurückgezogen, vorsichtig, um seine Zukunft besorgt. Zwar waren weder Professoren noch Repetenten anwesend, aber diese unvermutete Bemerkung würde sich herumsprechen.
    Hölderlin sah lächelnd zu ihm auf.
    Neuffer sagte: Dem Hölder isch ganz anders. Und, als könne er sich damit erklären, begann er Klopstocks Ode auf »Das neue Jahrhundert« zu rezitieren. Sich selbst unterbrechend, hob er den Becher, rief: Laßt uns die Freundschaft halten! Und Magenau, der sich inzwischen wie die anderen erhoben hatte, umarmend: Ade, lieber Magenau! Sie tranken, Magenau begann zu singen: »Traurig sehen wir uns an, / Achten nicht des Weines! /

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