Härtling, Peter
er nicht weitergehen wollte. DiePrüfungspapiere halten fest: »… Dem M. Hölderlin gestattet eine Parastatur – eine Hofmeisterstelle – bei dem v. Kalb auf 3 Jahre anzunehmen wobei er zum Predigen und Fortsetzung s. Studien erinnert …«
Er räumt seinen Schrank auf der Stube aus, sucht seine Sachen zusammen. Er trödelt. Die meisten der Freunde sind schon fort. Schelling, der noch zwei Jahre Studium vor sich hat, hilft ihm.
Er muß sich noch von Elise verabschieden.
Er verabschiedet sich auch in Nürtingen. Die Mutter hat für neue Kleider, neue Wäsche gesorgt.
Er freut sich auf die Reise. Johanna ist besorgt. Ob er denn unbedingt ein Dasein als Hauslehrer einer Pfarrstelle vorziehen wolle?
I woiß net.
Er weiß es wohl.
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VIII
Die sechste Geschichte
Nicht ein Brief ist erhalten, erzählt die Liebesgeschichte von Hölderlin und Elise Lebret.
Was er an die Mutter und an Neuffer über sie schreibt, kommt aus trüben Launen. Sie ist mir nicht wichtig. Ich werde sie nicht brauchen. Ich kann mich nicht binden. Seine Gedichte auf sie, auf Lyda, jedoch erhoffen Gemeinsamkeit, Dauer der Zuneigung und der Leidenschaft.
Solche Geschichten kann man nur seinen Stimmungen entlang schreiben. Dazu kommt die Handvoll Sätze, die das Erfundene wahr machen.
Professor Bök hatte ihn zu einem Sommerfest eingeladen, das er mit seinem Flötenspiel bereichern sollte.
Die Gesellschaft war nicht groß. Er kannte die meisten zumindest vom Ansehen. Bök oder Neuffer stellten ihn vor.
Trotz dieses Schutzes fühlte er sich nicht wohl, nahm sich vor, bald und ohne Aufsehen zu verschwinden. Er war für niemanden wichtig.
Ich habe gehört, Er wird uns mit seiner Kunst erfreuen?
Ist Er ein Freund des jungen Herrn Neuffer?
Ah, von Nürtingen kommt Er.
Die Frau Kammerrätin Gok, seine Mutter, ist mir bekannt. Sag Er ihr bitte einen Gruß.
Aber er weiß nicht von wem, denn dieser überfreundliche Mann, dieser »Schmalzhafen«, wie er ihn für sich nennt, ist ihm nicht vorgestellt worden. Von dem die Mutter zu grüßen, hatte er keine Lust.
Bök bittet ihn, sein Instrument zu holen. Er werde gleich beginnen können.
In der Tür trifft er auf Lebret, den Kanzler der Universität, den er ebenso höflich grüßt wie dessen Frau. Hölderlin abschätzend, tritt eine junge Dame hinzu. Sie sei seine Tochter Elise, sagt Lebret.
Ob er die Gesellschaft schon verlassen wolle? fragt Frau Lebret.
Nein, er müsse nur sein Instrument holen, da der Professor Bök ihn aufgefordert habe vorzuspielen.
Er also sei der angekündigte Flötist.
Ja, nur ist es mit meiner Kunst nicht weit her.
Wir werden hören.
Die junge Lebret hat ihm Eindruck gemacht.
Bök bittet die Plaudernden um Ruhe, sich einen Platzzu suchen, zuerst würde Herr Hölderlin auf der Flöte und danach der Magister Niethammer auf dem Klavier einige Stücke zur Unterhaltung vortragen. Als er geendet und Niethammer sich schon ans Klavier gesetzt hatte, blieb er an die Wand gelehnt stehen, hörte zu, schaute immer wieder zu Elise hin, deren hübsches Gesicht sich vor Konzentration anspannte. Er bildete sich ein, daß sie Louise ähnle, nur im Ganzen tüchtiger, lebenszugewandter erscheine.
Sie kam nach dem Konzert zu ihm, als man sich in Gruppen unterhielt, die älteren Männer sich zu einem Kartenspiel ins Rauchzimmer zurückgezogen hatten, fragte ihn nach Breyer, der ein Vetter von ihr sei und den sie heute Abend auch hier erwartet hätte.
Er hat für eine Woche um Krankenferien gebeten und ist daheim in Stuttgart.
Das habe sie nicht erfahren.
Hölderlin redete nur, um sie festzuhalten.
Am anderen Morgen konnte er sich nicht mehr an das erinnern, worüber sie gesprochen hatten.
Aber zu Neuffer sagte er: Es ist besser, ich sehe sie eine Zeitlang nicht mehr.
Der Freund bestärkte ihn in diesem Vorsatz: Laß des bleibe, Fritz, die paßt net zu d’r.
Gelegentlich sah er sie, grüßte, mehr nicht.
Dennoch träumte er von ihr. Es waren Träume, die er sich verbot. Er hielt sie in den Armen. Manchmal war sie nackt, preßte ihren großen kräftigen Körper gegen ihn. Oft schreckte er aus diesen Träumen hoch, lauschte auf den Atem der Freunde und befriedigte sich selbst. Es fielen ihm die heimlichen Spiele ein, die er mit Bilfinger und einigen anderen in Denkendorfgetrieben hatte, deren Arglosigkeit ihnen von den Lehrern bald ausgeredet worden war – oder er dachte an die »entsetzliche Lust«, die ihn jedesmal nach dem Zusammensein mit Louise überkam und
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