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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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bereitwillig das Neueste aus Briefen griechischer Bekannter vorlas. Erst als er merkte, daß seine Neugier ihr lästig wurde, entschuldigte er sich, ging zu einer anderen Gruppe, die ihn gleich sehr in Anspruch nahm.
    Er sah sie, als er seine Blicke gleichgültig, halb nach innen gewendet, über die Gäste wandern ließ.
    Ein blasses, wie aus farblosem Stein geschnitztes Gesichtmit großen runden Augen, ohne Perücke, das lackschwarze Haar fest an den Kopf gekämmt.
    Er hatte den Eindruck, er bilde sie sich ein, sie könne auf der Stelle verschwinden; ein Geschöpf aus seinem »Hyperion«.
    Wer ist sie?
    Wen meinst du, Fritz?
    Das Mädchen, das neben dem alten, gebückten Mann steht.
    Es ist die Tochter eines Bankiers. Gefällt sie dir? Soll ich dich vorstellen?
    Nein! Er sagte es ganz entschieden.
    Neuffer, neugierig geworden, fragte: Hast du dich in sie verguckt?
    Wenn’s das wäre, Lieber.
    Verliebt, so auf einen Blick?
    Ja.
    Sie kommt manchmal. Willst du sie nicht sprechen?
    Nein!
    Er traf sie ein zweites Mal in Gesellschaft, diesmal bei Stäudlin, lehnte es erneut ab, mit ihr bekannt gemacht zu werden. Über Stäudlin erkundigte er sich dennoch, ob sie seine Freundschaft wünsche, was aber, so der ausgesandte Freund, nicht auszumachen sei.
    Neuffer schrieb er von ihr, von der »holden Gestalt«, dem »Adel und der Stille in ihrem Wesen«.
    Neuffer wollte von ihr erzählen, wer sie sei, was sie mache.
    Ich will es nicht wissen.
    Elise versprach er beim Abschied, einmal die Woche einen langen Brief zu schreiben, wenn es gehe, mehr. Er tat es aus Pflicht und seltsamerweise wohl auch aus schlechtem Gewissen, denn noch sechs Jahre später erinnerte er sich dieses Verhältnisses so, als habe er Elise, die inzwischen geheiratet hatte, mitgespielt: »Ich hab es genug abgebüßt durch die Frivolität, die sich dadurch in meinen Charakter einschlich, und aus der ich nur durch unaussprechlich schmerzliche Erfahrungen mich wieder loswandt.«

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    Dritter Teil
Hofmeister und Philosoph
    Waltershausen und Jena
(1794–1795)

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    I
    Die siebte Geschichte
    Man hatte ihn nicht erwartet. Er war nicht angekündigt worden. Charlotte von Kalb, die in Jena war, hatte es vergessen. In der Abenddämmerung hielt der Wagen, den er in Coburg gemietet hatte, vorm Waltershauser Schloß, einem dreigeschossigen quadratischen Bau mit lustigen, ein wenig zu klein geratenen Türmchen an den Ecken. Seit vierzehn Tagen war er unterwegs, hatte die Kutschfahrten unmutig ertragen, sich jedoch in Nürnberg bei Ludwig Schubart, dem Sohn des Dichters, der dort als preußischer Diplomat diente, aufgeheitert, am Heiligen Abend in der Erlanger Universitätskirche eine »herrliche, schön und hell gedachte« Predigt des jungen Theologen Ammon gehört, zwischendurch an seinem »Hymnus an das Schicksal« geschrieben – nun war er angelangt, ohne daß er erwartet wurde.
    Als sie durchs Dorf fuhren, die Straße anzusteigen begann, rief der Kutscher: Dort vorn sehen Sie das Schloß! Dessen mächtige, ruhige Konturen, vor allem aber die Lichter, die hinter einigen Fenstern brannten, machten ihn froh – das könnte ein neues Zuhause sein.
    Der Wagen hielt an. Er sprang hinaus, half dem Kutscher, das Gepäck abzuladen. Erst nach einiger Zeit kam ein Diener aus dem Schloß, der ihn aus einigem Abstand hochmütig beobachtete. Hölderlin herrschte ihn, während er dem Kutscher das Reisegeld auszahlte, an, er möge ihn gefälligst bei seiner Herrschaft melden.
    Es werden keine Gäste erwartet.
    Das ist unmöglich. Melde Er mich beim Herrn Major von Kalb.
    Aber ich weiß, daß niemand angesagt ist.
    Die Frau Majorin hat mich angestellt. Ich bin der neue Hofmeister.
    Der Lakai schüttelte den Kopf. Dies könne ganz und gar nicht der Fall sein. An einem Hofmeister fehle es nicht. Der des Hauses heiße Münch und sei anwesend.
    Soll er den Kutscher bitten, ihn zurückzunehmen nach Coburg? Soll er an dem Domestiken vorbei ins Schloß gehen? Ist das ein Spiel? Was hat die Majorin mit ihm vor? Will sie ihn prüfen?
    Meld Er mich dennoch der Frau Majorin von Kalb.
    Der Diener fiel ihm geradezu heiter ins Wort. Die Frau Majorin ist seit Wochen nicht anwesend.
    Dann melde Er dem Herrn Major von Kalb, der Herr Doktor Hölderlin aus Tübingen sei eingetroffen.
    Wenn es sein muß, sagte der Diener, machte kehrt, ging ins Haus hinein. Wenn es denn sein muß, sagte er.
    Der offenbar unerwartete Gast stand hilflos zwischen seinem Gepäck, Aufregung und Wut

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