Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
Vom Netzwerk:
das hohe Gras sichelte. Der richtete sich auf, wischte sich mit dem Unterarm die Stirn, sagte Grüß Gott und setzte seine Arbeit fort.
    In Tübingen kommt er kaum mehr zu sich. Die Abschlußprüfungen rücken nah. Am stärksten bedrückt ihn die Aussicht, als Vikar oder Pfarrverweser in einen entlegenen Ort gesetzt zu werden. Er hat seine Freunde gebeten, sich für ihn nach einer Hofmeisterstelle umzusehen, er habe zu wenige Verbindungen und seine Familie könne er nicht bemühen, da es so seine Mutter erführe. Das wolle er nicht. Stäudlin, der immer Hilfsbereite, sprang ein.
    Ich bin nicht sicher, ob Stäudlin gleich gesagt hat, daß er vorhabe, sich an Schiller zu wenden. Seine Eitelkeit wird es ihm verboten haben. Erst einmal die Angelegenheit mit Erfolg einfädeln und dann dem Freund eröffnen, mit welchem Mittelsmann er um seinetwillen korrespondiere. Ich kümmere mich, hatte er gesagt. Du kannst sicher sein. Hab Geduld. Dennoch hätte es Hölderlin ahnenkönnen. Hegel, der inzwischen eine Hofmeisterstelle in Bern gefunden hatte, sich auf den vorzeitigen Weggang aus dem Stift vorbereitete, hatte nämlich von Jenaer Bekannten erfahren, Schiller suche im Auftrag einer Freundin nach einem Hauslehrer. Freilich hätte Hölderlin es nie gewagt, sich an Schiller zu wenden. So nahm Stäudlin die Anregung auf. Auf diese Weise ließ sich mit dem mächtigen Gegner privat wieder eine Korrespondenz beginnen. »Unter meinen Mitarbeitern an dieser Blumenlese«, schreibt er, »ist einer, für welchen ich eine sehr angelegentliche Bitte an Sie zu bringen habe. Es ist Hölderlin , der gewiß nicht wenig versprechende Hymnendichter. Er tritt mit diesem Herbste aus dem Kloster und wünscht nichts so sehr, als über die enge Sphäre seines Vaterlandes und eines Pfarrvikariats in demselben hinauszutreten. Da er nun zu Erreichung dieses Endzweks nicht Mittel genug hat; so will er sie auf dem Wege einer Hofmeisterstelle suchen …«
    Da wird er wieder angesprochen, der »arme« Hölderlin. Als fehlte es ihm an Mitteln, als nagte die Familie am Hungertuch. Johanna hat jedoch ein beträchtliches Vermögen gehortet, einen guten Teil zu seinen Gunsten, angelegt in Wertpapieren und Darlehen. Niemals wird er daraus einen größeren Betrag fordern, nur stets jene kleinen Hilfen, die sie akkurat in das Ausgabenbüchlein »Für den lieben Fritz« einträgt. War das so ausgemacht? Mißtraute ihm die Mutter? Wollte sie das Erbe bis nach ihrem Tod zusammenhalten? Oder ahnte sie das kommende Desaster und daß der Sohn das zurückgelegte Geld in seiner Hilflosigkeit würde brauchen können? Eigentlich war der arme Hölderlin ein reicher Mann.
    Stäudlins Brief hatte Folgen und versetzte den Empfohlenen in beträchtliche Aufregung. Carl Eugen war erkrankt, man erwartete seinen Tod. Jedermann hoffte, daß dann der Eiswind des Absolutismus nicht mehr so scharf wehen würde. Es war eine Täuschung. Der Nachfolger, Carls Bruder Ludwig Eugen, der nur zwei Jahre regierte, war ein Schwächling und ließ sich vom Hof bestimmen. Und der wich vom scharfen Kurs nicht ab. Als man bei Carl Eugen nachfragte, ob er etwas gegen den Besuch Schillers in seiner Heimat einzuwenden habe, ließ der Hof wissen, man werde den Besucher ignorieren. Das sei alles. Schiller traf am 8. September 1793 mit seiner Frau in Ludwigsburg ein. Charlotte brachte schon sechs Tage später ihr erstes Kind zur Welt. Grund genug, daß sich die ganze Schillersche Familie um den berühmten Sohn und den neuen Enkel versammelte. Die Jahre davor hatte Schiller gekränkelt, unter Mühen seine Schrift »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« begonnen – jetzt wendete sich scheinbar das Blatt. Das so oft angeflehte, angepriesene Glück kommt nah. Er hält Hof. Lange dauert das Behagen nicht. Die »Dürre« um ihn herum deprimiert ihn, macht ihn unlustig. Er kann nicht arbeiten.
    Über Stäudlin erhält Hölderlin die Nachricht, er solle am 1. Oktober, nachmittags, bei dem großen Mann vorsprechen. Er habe gute Aussichten, die Stelle zu bekommen.
    Am liebsten würde er absagen. Die ein wenig neidischen Freunde reden ihm die Ängste aus.
    Wie soll ich ihn ansprechen?
    Ja, wie?
    Kürzlich hat ihm der Weimarer Fürst den Hofrat verliehen.
    Also Herr Hofrat?
    So wird es richtig sein.
    Er übernachtet bei Neuffer, schließt die Freunde in seine Aufregung ein, wandert am frühen Morgen los und ist viel zu früh in Ludwigsburg. In einem Wirtshaus wartet er die Zeit ab.
    Ein junger Mann öffnet

Weitere Kostenlose Bücher