Härtling, Peter
– gell net?
Er verglich Elise mit Charlotte Stäudlin, stellte fest, daß Charlotte seinem Wesen viel verwandter war, auch Christiane. Warum sollte er nicht auch andern Mädchen gegenüber aufmerksam sein? Könnte er sich nicht in eine zweite verlieben?
Elise spürte sein Interesse für Charlotte, warf es ihm vor. Von seiner Affäre mit Wilhelmine Maisch erfuhr Elise nichts.
Stäudlin hatte die junge Frau entdeckt. Sie kam aus einem Pfarrhaus aus der Gegend Heilbronns, hatte früh Gedichte zu schreiben begonnen und sie Stäudlin geschickt, dem die unkomplizierten, sich nicht anbiedernden Verse gefielen. Im Winter 1792 hielt sich Wilhelmine bei Verwandten in Stuttgart auf, stellte sich vor, gehörte bald zum Kreis. Rasch paßte sie sich der städtischen Geselligkeit an, übertrieb sie sogar, genoß die Freiheit, belustigte sich über ihre ländliche Vergangenheit, überrumpelte die Männer mit einer unverdeckten Sinnlichkeit. Als die Stäudlin-Mädchen sich noch scheuten, die legeren Pariser Kleider zu tragen, machte sie Mode, trug Kleider aus leicht gewebtem Stoff, hoch in der Taille und mit tiefem ungeschnürtem Ausschnitt.
Mit ihrem Charme trieb sie Hölderlin in die Enge, und er ließ es zu, spielte mit. Außerdem verfocht sie die politischen Ideen Stäudlins, bewunderte Madame Roland, die Frau des französischen Deputierten, und warnte Hölderlin nicht wie Elise vor dem gefährlichen Advokaten, der den guten Herzog stürzen wolle.
Die Freunde verfolgten das Getändel zwischen den beiden mit Beifall. Zum ersten Mal waren keine Komplikationen zu fürchten, ging »der Hölder« unbefangen mit einem Mädchen um.
Sie hatte ihm ihre weiteren Pläne offenbart. Sie wolle keineswegs zurück nach Neipperg ins Elternhaus, vielmehr einige Jahre reisen und sich vergnügen. Dazu werde sie sich ihrer Verwandten in Karlsruhe, Heidelberg und Wien bedienen. Ihre Kühnheit beeindruckte ihn. Sie beherrschte ihre Sehnsüchte und verstand es, wenn es darauf ankam, mit Eifer auch für sie zu kämpfen.
Von ihr lernte er, ohne jede Angst zärtlich zu sein, nichts zu erwarten, nichts zu befürchten. Die Freunde waren mit zwei Wagen ins Remstal gefahren, eingekehrt, und danach, je nach Belieben, spazierengegangen. Wilhelmine hatte sich ihn eingefangen und war mit ihm den anderen davongelaufen.
Sie fanden eine Waldnische, setzten sich ins Gras. Er breitete seine Weste aus, damit sie ihr hübsches Kleid nicht beschmutze.
Sie lehnte sich gegen ihn, plauderte, als handle es sich um Stickereien, über ihre neuesten Gedichte, daß sie in zwei Almanachen erscheinen würden, solchen Gefallen hätten sie gefunden. Mit Ihnen will ich mich aber nicht vergleichen.
Alles, was sie sagte und tat, war überraschend selbstverständlich.
Sind Sie oft traurig?
Jetzt bin ich’s nicht.
Er zog ihren Kopf zu sich, küßte sie, sie legte sich hin, hielt ihn fest, sie küßten sich wieder, sie nahm seine Hand, führte sie zu ihrer Brust. Er begann sie zu streicheln, wünschte sich mehr, aber es gelang ihr, die Zärtlichkeiten zu dämpfen, und als er müde wurde, seinen Kopfschmerz stärker spürte, ließ er sie los, verschränkte die Hände unterm Kopf, sah in den Himmel, wartete darauf, daß sie einen Satz sage, der ihm die gewonnene Leichtigkeit erkläre.
Woisch, weil mir uns net brauchet, verstehe mer uns, sagte sie.
Es blieb nicht das einzige Mal, daß sie sich so in ihrer Zuneigung übten.
Später, als er schon in Waltershausen diente, erreichte ihn ein Gedicht: »Denn ach! mir schwebte / Die schöne Zeit / Voll Seligkeit, / Die ich bei Dir / So froh verlebte, / Auch träumend für.«
Er antwortete ihr nicht, weil er sicher war, sie würde sein Schweigen, seine Entfernung verstehen.
Elise schrieb er von Waltershausen und Jena aus weiter. Er tat es ohne Gefühlsüberschwang, und es traf ihn nicht, wenn sie gelegentlich andere Männer erwähnte.
Sein Gedächtnis nahm alle diese Bilder nicht mit. Sie verblaßten mit dem Abschied. Nur eines nicht, und das war, wie der kurze Auftritt Sinclairs, eine Botschaft aus der Zukunft. Die Griechin hatte zu einem geselligen Abend geladen, wahrscheinlich von ihrem Sohn angeregt, der ihr klar gemacht habe, daß der liebe Hölderlin wieder einmal Anregung für seine Griechenschwärmerei brauche. In drei Räumen unterhielt man sich. Es gab Wein und Brezeln. Stäudlin war anwesend, Conz, die Freundinnen der Stäudlin-Mädchen, Bekannte des alten Neuffer. Er hatte sich gleich Frau Neuffer zugewandt, die ihm
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