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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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ihm die Tür. Er nimmt an, es sei ein Verwandter Schillers.
    Magister Hölderlin – er werde erwartet.
    Was ich jetzt schreiben müßte, wäre eine Theaterszene: Zwei Helden treffen aufeinander. Ich müßte Schiller charakterisieren, ihn in der etwas zu engen Stube auf und ab gehen lassen, einen »feurigen Geist«, um in der Sprache seiner Verehrer zu reden.
    Für Hölderlin war er, wie auch Schubart, schon eine Gestalt der Geschichte. Hölderlin kennt Porträts von Schiller. Der ihm entgegenkommt, sieht den Abbildungen zwar gleich, doch er ist kleiner, hinfälliger, seine Gesten sind fahrig, und die überwundene schwere Krankheit ist ihm noch anzusehen.
    Ich schreibe das, um den Gegensatz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit zu verdeutlichen, den Schock, den der junge Besucher empfand. Größe ist nicht unbedingt sichtbar.
    Aber die Stimme überrascht ihn – dunkel, voller Musikalität. Schiller genießt es, sich reden zu hören. Übrigens erwartet er in diesem Fall auch nicht, daß sein Gegenüber mehr als das Abgefragte sage.
    Hölderlin setzt sich.
    Schiller fragt ihn aus.
    Nach seinen Eltern.
    Nach den Schulen, Lehrern und Freunden.
    Nach der Lokation.
    Nach den Sprachkenntnissen. Ein gutes Französisch sei Voraussetzung.
    Nach seiner Meinung über Professoren und Obrigkeit.
    Nach seinen Ideen als Erzieher.
    Er antwortet, leise, so genau wie möglich, so vorsichtig wie möglich.
    Schiller philosophiert über die Schönheit und die Regeln der Dichtkunst. Ob er sie auch beherzige?
    Er gebe sich Mühe mit jedem Vers.
    Es stellt sich heraus, daß der große Mann keines seiner Gedichte gelesen hat. Er könnte traurig sein, doch er empfiehlt Schiller Stäudlins neuen Almanach, der demnächst mit einigen Proben seiner Arbeit erscheinen werde.
    Schiller verspricht, sie aufmerksam zu lesen.
    Sie wissen, bei wem Sie die Hofmeisterstelle antreten sollen, Herr Magister?
    Nein, Herr Hofrat.
    Es handelt sich um den Hausstand des Majors von Kalb. Die Majorin ist mit unserer Familie gut befreundet. Ihr Sohn, Fritz, macht ihr einigen Kummer. Ihn zu erziehen und zu belehren, wäre Ihre Aufgabe. Das Gut der Kalbs befindet sich in Waltershausen.
    Er weiß nicht, wo Waltershausen zu suchen ist, wagt aber nicht zu fragen. Das herauszufinden, wird er genügend Zeit haben.
    Im Thüringischen, bei Meiningen, sagt Schiller. Sind Sie ein Anhänger der Republik?
    Ja, antwortet er. Er könnte hinzusetzen: Sehr entschieden. Ich denke nach. Die Ereignisse verwirren mich.
    Schiller sagt: Die Nationalversammlung hat mir das republikanische Bürgerrecht geschenkt. Das ist bekannt. Dochdie Republik hat mich mit dem Mord an Ludwig enttäuscht. Der Mensch ist zu schwach für die Rechte, die er sich gegeben hat. Stimmen Sie mir zu?
    Er antwortet zögernd: Es ist mir zu kompliziert, Herr Hofrat, und dann fragt er, seine Vorsicht vergessend: Haben Sie Näheres über die Schicksale der Deputierten Guadet, Vergniaud und Brissot gehört?
    Sie werden den Weg vieler anderer gehen, sagt Schiller. Hängen Sie ihnen an?
    Sie verteidigen unsere Ideen, Herr Hofrat.
    Schiller, dem die Unterhaltung zuviel wird, erhebt sich. Hölderlin folgt ihm zur Tür. Er werde bald in der Angelegenheit Bescheid erhalten.
    Er dankt, schämt sich seiner Überschwenglichkeit.
    In Stuttgart macht er nicht halt, sondern wandert weiter nach Nürtingen. Auf den Fildern nimmt ihn ein Wagen mit, und er grübelt über die unwirkliche Szene. Er fragt sich, ob die Begegnung tatsächlich stattgefunden habe.
    Schiller schreibt noch am selben Tag an Charlotte von Kalb: »Einen jungen Mann habe ich ausgefunden, der eben jetzt seine theologischen Studien in Tübingen vollendet hat, und dessen Kenntnissen in Sprachen und den zum Hofmeister erforderlichen Fächern alle die ich darüber befragt habe, einen gutes Zeugniß ertheilen. Er versteht und spricht auch das Französische und ist (ich weiß nicht, ob ich dies zu seiner Empfehlung oder zu seinem Nachtheile anführe) nicht ohne poetisches Talent, wovon Sie in dem schwäbischen Musenalmanach vom Jahre 1794 Proben finden werden. Er heißt Hölderlin und ist Magister der Philosophie. Ich habe ihn persönlich kennen lernen und glaube, daß Ihnen sein Aeußeres sehr wohl gefallen wird. Auch zeigt er vielenAnstand und Artigkeit. Seinen Sitten giebt man ein gutes Zeugniß; doch völlig gesetzt scheint er noch nicht, und viele Gründlichkeit erwarte ich weder von seinem Wissen noch von seinem Betragen …«
    Charlotte von Kalb, die sich in Jena

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