Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
Ding auf!« befahl einer der Männer.
»Das ist Nötigung!«, fauchte er. »Was Sie hier machen ist Hausfriedensbruch. Ich werde mich an höchster Stelle über Sie beschweren.«
»Ersparen Sie uns ihr Gelaber, es nervt. Machen Sie einfach das Ding auf oder wir lassen es abholen und aufbrechen.«
»Sie werden nichts darin finden!«
»Das ist unser kleinstes Problem!«
Die beiden Männer hatten sich breitbeinig vor ihm aufgebaut. Er wusste jetzt, es gab keinen Ausweg mehr und resignierte, holte den Schlüssel und öffnete die Stahltür. Dort lagen Stapel von 50er Banknoten im Wert von zirka 20.000 DM.
»Das ist nicht so, wie Sie jetzt denken. Das sind keine Blüten! Das Geld ist echt.«
Er sieht den offenen Safe deutlich vor sich, sieht wie die Typen von der Kripo hineingreifen und mit den Fingern über die Scheine tasten. Er muss unwillkürlich grinsen, als er sich seine damalige Unverfrorenheit wieder vor Augen führt.
Dieser Kommissar, wie hieß der noch gleich? Wein …, Weinbauer, genau. Dieser Weinbauer war schon wie eine Klette, denkt er und sieht sich das Bild an, auf dem er in Handschellen von genau dem Kommissar abgeführt wird. Der hat förmlich an meinen Hacken geklebt. Trotzdem brauchte die Pfeife ganze zwei Jahre um mich aufzuspüren.
Als er vor einer Stunde die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, war er noch ziemlich aufgewühlt gewesen. Doch in seinen vier Wänden fühlte er sich gleich viel sicherer. Alles, was er geplant hatte, war wie am Schnürchen abgelaufen. Er müsste jetzt nur so weiterleben wie bisher, damit Gras über die Sache wachsen kann. Dann hätte er es endlich geschafft, ein für alle mal. Er ließ sich Badewasser einlaufen, versuchte sich im heißen Wasser zu entspannen, fühlte sich aber immer noch ein wenig flau. Er war dann im Bademantel ins Wohnzimmer gegangen und hatte im Schrank nach einer Flasche Magenbitter gekramt. Da war ihm der alte Aktenordner in die Finger gefallen und sofort war ihm seine Verhaftung wieder eingefallen.
Jetzt liegt der Ordner aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch. Er blättert in den dünnen Pappkarton-Seiten, auf die er feinsäuberlich vergilbte Zeitungsausschnitte aufgeklebt hatte, damals, kurz nachdem er aus der Haft entlassen worden war.
Damals hatte er alle Zeit der Welt gehabt und wollte unbedingt alles von dem haben, was die Presse nach seiner Verhaftung der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Er brauchte Wochen dafür, trug alles mühevoll aus mehreren Zeitungsarchiven zusammen. Nicht gerade wenig. Es war eine ganz schöne Menge Schlagzeilen zusammengekommen. Der ›falsche Fünfziger‹ wurde er von der Presse genannt. Er war berühmt gewesen, wenigstens eine Zeit lang.
Auf den Namen ist er heute noch stolz und besonders, dass einer der Journalisten ihn damals als genial bezeichnet hatte. Das wollte er immer sein, ein Genie. Er erinnert sich, dass er schon in seiner Jugend diese Sucht nach Anerkennung hatte.
Im Gegensatz zu anderen Kindern, die immer draußen herumtobten, saß er lieber in der Ecke und zeichnete. Einmal hatte er mühevoll einen Zwanzigmarkschein mit seinen Buntstiften abgezeichnet und wollte sich anschließend beim Krämer dafür Sahnebonbons kaufen. Der sprach mit seinem Vater und der legte ihn übers Knie und zog ihm einige Schläge mit dem Rohrstock ’rüber. Doch abends im Bett hörte er deutlich, wie Vater zusammen mit der Mutter über seine Idee herzhaft gelacht und sogar seine Geschicklichkeit gelobt hatte. Da wäre er bald geplatzt vor Stolz. Das war ein einschneidendes Erlebnis für ihn gewesen. Mit neunzehn Jahren begann er davon zu träumen ›Der Meisterfälscher‹ zu werden, jemand, den die Leute wegen seines Könnens bewundern sollten. Ab da hatte er sich akribisch auf eine Tätigkeit als bester Geldfälscher vorbereitet. Er arbeitete sich durch eine Unmenge von Fachbüchern: Typographie, Reproduktionstechnik, Drucktechnik, Chemiegraphie, Papierherstellung. Später begann er ein Studium an der Kunsthochschule, an der er danach auch eine Assistentenstelle in der Druckwerkstatt bekam.
Er steht auf und tritt ans Fenster. Das helle Mondlicht liegt über der Stadt. Eine schwarze Katze saust über die Straße und verschwindet in der Hecke eines Vorgartens. Seine Stirn legt sich in Falten.
Eine schwarze Katze von links nach rechts, denkt er und verwirft seinen Gedanken als blöden Aberglauben sofort wieder. Er geht zum Tisch zurück und blättert langsam weiter im Ordner.
Weitere Kostenlose Bücher