Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
Püchel und Swensen ihr entgegengehen. »Bis jetzt hab ich erst von dreien eine Aussage, zwei Frauen und ein Mann. Die beiden Frauen wohnen gleich hier nebenan und der Mann genau gegenüber. Die haben alle ein Geräusch gehört, so was wie einen dumpfen Knall, haben sich aber nichts weiter dabei gedacht. Alle haben fast denselben Zeitpunkt angegeben, so zwischen halb und viertel vor elf.«
»Der Laden macht um zehn Uhr zu, steht auf dem Schild an der Tür.«
»Das passt ja gut!«, sagt Püchel trocken. »Der macht den Laden zu und überlegt alles noch mal in Ruhe.«
»Würdest du zur Arbeit gehen, normal arbeiten und dich dann nach Feierabend erschießen?«
»Vielleicht ein spontaner Entschluss!«, kontert Püchel. »Was weiß ich, wann jemand Gelüste auf Selbstmord verspürt!«
»Wenn ich mich erschießen wollte, würde ich jedenfalls nicht mehr arbeiten gehen«, sagt Swensen.
»Soll ich darauf jetzt was sagen, Jan?«
»Lass es lieber, Heinz, lass es lieber!«
Püchels Handy klingelt. Er nimmt das Gespräch an. Wenig später verformt sich sein Gesicht so heftig, als wenn darauf eine Bombe eingeschlagen wäre. Mit großen Augen sprudeln immer wieder dieselben Worte aus seinem Mund: »Was, was, was!« und »Nicht zu glauben!« und »Das ist ja Wahnsinn!« Swensen und Silvia Haman kleben gebannt an seinen Lippen bis er das Telefonat beendet hat.
»Haltet euch fest, meine Lieben!«, triumphiert er lauthals. »Mielke und Jacobsen haben gerade in Peters Garage die gestohlenen Kupferstiche aus dem Storm-Museum sichergestellt.«
11
»Ich glaube du brauchst hier in Husum bald ein Abonnement für uns!«, hatte Dr. Jürgen Riemschneider gesagt und mit dem rechten Auge gezwinkert. »Jetzt sind wir in so kurzer Zeit schon das dritte Mal angereist. Glücklicherweise gibt es diesmal nicht, wie beim letzten Mal, zwei Leichen auf einmal.«
Swensen hatte den Gerichtsmediziner direkt vom Seziertisch weg vor die Tür gewunken. Er verspürte keine große Lust, sich die Obduktion aus der Nähe anzusehen. Nein, das muss nicht wieder sein, hatte er gedacht, als er sich daran erinnerte wie er einmal bei einem Kopfschussopfer dabei gewesen war, damals, in seiner Anfangszeit bei der Hamburger Kripo. Es war ein Leichtes, sich das Bild erneut vor seine Augen zu holen und das freigelegte Gehirn wieder vor sich zu sehen.
»Du willst bestimmt schon Ergebnisse hören, Jan, oder?«, fragte Riemschneider. »Du hast Glück, wir sind gerade fertig.«
»Das was uns hier im Moment am meisten interessiert ist, war es Selbstmord oder Mord?«
»Das ist gar nicht so leicht zu beantworten.«
Swensen sah Riemschneider mit fragenden Augen an. Der gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, ob er nicht mit reinkommen möge, was Swensen mit heftigem Kopfschütteln verneinte.
»Nun«, fuhr Riemschneider fort, »wir haben den Leichnam nach Verfärbungen, Schwielen, Hämatomen abgesucht und nichts gefunden. Keine Anzeichen irgendwelcher Gewalteinwirkungen von außen. Es deutet erst mal alles auf Selbstmord hin, sollte aber noch nicht als abschließendes Ergebnis gewertet werden. Die Kleidung muss noch in unserem Speziallabor in Kiel untersucht werden. Blutspritzer und die gesamte Palette. Oberflächlich ist auch da nichts Verdächtiges zu entdecken.«
»Todeszeit?«
»Zwischen 22:00 und 23:00 Uhr!«
Swensen steht vor dem ratternden Faxgerät und versucht über Kopf schon einige Wortfetzen im Voraus zu ergattern. Riemschneider hatte Wort gehalten. Er versprach ihm, den Sektionsbericht so schnell wie möglich zuzufaxen. Jetzt ist es 16:17 Uhr. Mit einem Ratsch schneidet das Gerät den ersten Bogen ab. Swensen greift zu und fliegt mit den Augen über die Zeilen.
Sektionsbericht
Angaben zur Sektion
Die Sektion wurde am 10. 12. 2000 zwischen 1000 und 1500 im Obduktionssaal des Kreiskrankenhauses Husum, Erichsenweg 16, 25813 Husum, durchgeführt. Anwesend Dr. Helmut Markgraf, Schwester Dorothee Helwig. Der Bericht wurde von Dr. Jürgen Riemschneider ausgegeben.
Sekti.-Nr. 127/00
Zur Vorgeschichte ist bekannt, dass der Mann am 10. 12. 2000 gegen 1:00 Uhr vom mobilen Einsatzkommando bei einem Festnahmeversuch in seiner Videothek entdeckt worden sei. Es habe sich um Herrn Hajo Peters gehandelt. Die Leiche sei auf dem Rücken liegend vorgefunden worden. Der linke Arm sei ausgestreckt gewesen, die Hand habe auf dem rechten Oberschenkel gelegen. Der rechte Arm sei leicht angewinkelt gewesen. Die rechte Hand steckte in einem Handschuh
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