Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
noch nie gesehen hat. Dahinter folgt der rundliche Polizeiarzt Michael Lade.
»Wo liegt er?!«, ruft Püchel und stürmt auf Swensen zu.
Püchel tritt neben ihn, schaut zögerlich hinter den Tresen und dreht sich gleich wieder weg.
»Grauslich! Muss das immer so aussehen?«, fragt er mit angewidertem Gesicht.
»Der Tod ist kein Schönheitswettbewerb, mein Lieber!« grinst Michel Lade und klopft Püchel auf die Schulter.
»Was für ’ne Waffe ist das?«, fragt Püchel Swensen.
»’ne Walther!«
»7,65?«
»Ich geh davon aus, wenn ich sie mir so anschau’.«
»Können Sie vielleicht jetzt zur Seite treten, damit ich die Fotos machen kann?«, sagt der Fotograf und streckt Swensen die Hand hin. »Richard Gerber! Wir kennen uns noch nicht.«
Swensen stellt sich vor und weist Gerber ein, von welchen Details er auf alle Fälle Bilder haben möchte.
»Ich mach lieber immer mehr Bilder, als zu wenig«, beruhigt ihn Gerber.
»Wo ist Silvia?« fragt Püchel.
»Klinkenputzen! Vielleicht haben Nachbarn was gehört«, antwortet Swensen, während grelle Lichtblitze durch den Raum zucken. Lade wartet auf seinen Auftritt, wackelt nervös mit dem Arztkoffer.
»Übrigens haben wir in Peters Wohnung einen Mietvertrag für eine Garage gefunden. Mielke ist mit Jacobsen auf dem Weg dorthin. Ich hoffe, der Jeep findet sich dort an«, sagt Püchel.
»Der wird da schon stehen. Und sonst finden wir ihn woanders. Jetzt ist das alles nicht mehr so dringend.«
»Wenn das Peters war, der den Schlamassel angerichtet hat, würde ich das so schnell wie möglich wissen wollen.«
»Ich bin davon überzeugt, dass er Edda Herbst auf dem Gewissen hat!«
»Und Kargel und Poth?«
»Welches Motiv sollte er haben?«, fragt Swensen.
Püchel zuckt mit den Schultern. Er zieht eine Zigarettenschachtel aus der Manteltasche, schlägt mit dem Mittelfinger auf den Boden und zieht eine Zigarette heraus. Mit einer Handbewegung deutet er an, dass er sie draußen rauchen geht. Der Fotograf ist mit seiner Arbeit fertig und Lade nimmt seinen Platz ein. Swensen stellt sich, so dicht er kann, neben ihn.
»Scheint noch nicht lange tot zu sein«, sagt Lade mehr zu sich selbst.
»Wie lange, schätzungsweise?«, fragt Swensen nach.
Er deutet auf die Augen- und Kieferpartie.
»In den Augenlidern und der Kaumuskulatur beginnt die Totenstarre zuerst. Siehst du!«, sagt Lade und drückt an Peters Kiefer.
»Zwei Stunden, höchstens drei.«
Er zieht Peters den rechten Schuh und seine Socke aus, und hebt seinen Fuß etwas an. Dann drückt er mit dem Finger auf den bläulich-roten Fleck, der sich an der Ferse gebildet hat. Der Fleck verblasst und kehrt wieder, als er den Druck wieder löst.
»Zwischen zwei und drei Stunden!«, wiederholt Lade. »Genauer kann ich dir das beim besten Willen nicht sagen.«
»Selbstmord oder Mord?«
»Das kann ich so nicht beantworten, das klär lieber mit den Typen aus Kiel. Wenn du mich privat fragst, sieht das hier sehr nach Selbstmord aus. Der hat sich in Höhe des Ohrs in den Kopf geschossen. Ein klar aufgesetzter Schuss. Spricht dafür. Fast alle Selbstmörder setzten die Waffe direkt an den Kopf. Die Pulverspuren bestätigen das auch.«
»Kann aber auch jemand anderer aufgesetzt haben, oder?«
»Alles kann sein! Aber ich denk, er soll der Mörder sein? Immerhin kein schlechtes Motiv für einen Selbstmord. Soll, glaube ich, schon öfter vorgekommen sein. Hast du irgendwelche Zweifel?«
»Von Natur aus, Michael.«
»Manchmal glaube ich, du bist froh, wenn der Fall bloß nicht abgeschlossen wird.«
»Quatsch!«, sagt Swensen eine Idee zu laut, verschweigt aber seinen bleibenden Zweifel.
Das sieht mir alles viel zu perfekt nach Selbstmord aus, denkt er, nickt Lade zu und geht nach draußen frische Luft schnappen. Der Videoladen ist weiträumig abgesperrt. Hinter den Plastikschnüren hat sich, trotz der Nachtzeit, eine Handvoll Neugieriger angesammelt. Die kleine Gruppe steht einige Meter vor der Absperrung und palavert gestenreich miteinander. Neben der Tür steht Püchel mit einem Streifenpolizisten zusammen und qualmt mit ihm um die Wette. An der Anzahl der Kippen, die am Boden liegen, lässt sich ablesen, dass beide die ganze Zeit Kette geraucht haben müssen. Gerade kommt Silvia Haman zurück, duckt sich unter der Plastikschnur hindurch, die ihr ein anderer Streifenpolizist hochhält.
»In den meisten Wohnungen macht niemand auf. Wir müssen morgen früh hier noch mal alles durchkämmen«, sagt sie, während
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