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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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dass die Angst vor dem nächsten Einsatz ihn fast lähmte. Wochenlang träumte er fast jede Nacht von durchgeschnittenen Hälsen und bleichen Knabenoberkörpern. Mit blutigen Wundlöchern vor Augen schreckte er aus dem Schlaf. Im Dienst fühlte er sich wie betäubt, fast stumpfsinnig. Er mied die Gespräche mit den Kollegen, denn der normale Wortschatz in einer Mordkommission erinnerte ihn immer wieder an die Horrornacht. Und dann kamen mit einem Mal noch diese ›Flashbacks‹ dazu. Sie trafen ihn aus heiterem Himmel, in jeder erdenklichen Situation, zum Beispiel beim Nachtisch in der Polizeikantine. Die Leichen der Knaben lagen urplötzlich real vor seinen Füßen. Er brauchte nur die Hand ausstrecken um ihr Blut zu berühren.
    Wenn er heute an diese Albtraumzeit zurückdenkt, wird ihm klar, dass er schon damals dieser Eigenbrötler war. Er vereinsamte zusehends in der Gruppe. Sobald seine Kollegen ihn darauf ansprachen, bezeichnete er sich als einen Individualisten. Und als Individualist wollte er die Sache natürlich unbedingt selber in den Griff bekommen.
    Eines Morgens kam Karl Begier in sein Büro, legte ihm mit einem Augenzwinkern einen Flyer auf den Schreibtisch und verschwand wortlos wieder. Swensen griff sich das hellblaue Stück Papier und faltete es auf.
     
    Posttraumatische Belastungsstörung nach kriminellen Gewalttaten. Ein Gastvortrag von Prof. Dr. Hermann im ›Psychologischen Institut‹, Saal IV der Uni Hamburg. 23. Januar 1992, 20:00 Uhr.
     
    Erst war er stinksauer gewesen und wollte Karl Begier zur Rede stellen, ihn fragen, was ihn sein Privatleben anginge. Doch seine nächtlichen Traumattacken ließen ihn dann verstummen. Am 23. schlich er nach über zwanzig Jahren wieder auf das Unigelände. Er fühlte sich fast wie ein geprügelter Hund, als er in den Vorlesungssaal trat und das versammelte Jungvolk ihn anstarrte. Sein erster Impuls war sofort wieder umzudrehen. Nur der Anblick einer attraktiven, schon etwas älteren Rothaarigen, die allein, etwas abseits in einer der hinteren Reihen saß, hielt ihn dann doch davon ab. Die beiden Fremdkörper zogen sich an. Er steuerte entschlossen auf sie zu und setzte sich mit einem ›ist hier noch frei?‹ direkt neben sie.
    »Jetzt nicht mehr!«, entgegnete sie schnippisch.
    »’Schuldigung! Swensen, Jan Swensen. Ich bin das erste Mal hier und brauche solidarische Unterstützung. Sie sind doch auch keine Studentin, oder?«
    »Nein, ich bin glücklicherweise schon einige Jahre in Arbeit!«
    »Und weshalb sind sie dann hier?«
    »Psychologische Fortbildung, Herr Swensen, ein wenig psychologische Fortbildung!«
    Das war sein erstes Gespräch mit einer Psychologin. Nach dem Vortrag gelang es ihm sie noch zu einem Wein einzuladen und das soeben Gehörte regte ihn an, innerhalb von einer halben Stunde seinen gesamten Seelenmüll einer völlig wildfremden Frau zu erzählen. Er erfuhr ihren Namen und spürte, Anna Diete war ein Mensch, der wirklich mitfühlend zuhören konnte. Am Ende des Abends hatte er Schmetterlinge im Bauch, eine Telefonnummer aus Witzwort in Schleswig-Holstein und die Adresse einer Kollegin von Anna in Hamburg.
     
    * * *
     
    Über dem Festland geht die Sonne glutrot auf. Hinnak Hansen hat dafür keinen Blick übrig. Er nimmt die täglichen Kapriolen der Natur nur noch nebenbei wahr. Seit über fünfzehn Jahren fischt er jetzt in der Nordsee nach Krabben und Plattfischen. Ein schöner Tag wie heute verspricht um diese Jahreszeit endlich volle Netze, aber nur wenn man weiß wo man jetzt hin muss.
    Der gestrige Tag, oberhalb der Lorenzplatte, war wesentlich unangenehmer gewesen. Peitschender Regen, stark bewegte See bei 5 bis 6 Windstärken. Außerdem lief der Job so mies wie schon lange nicht mehr. Erst waren fast mehr Krebse und Knurrhähne als Krabben im Fang, so dass er und sein Gehilfe Peter Müller ewig rumackern durften dieses lästige, unnütze Zeug auszusortieren. Eine echte Affenarbeit. Und dann kam es noch dicker. Am späten Nachmittag hatten sie mit müden Knochen das Fanggeschirr beiderseits der Bordwände ausgefiert. Gerade konnten sie etwas verschnaufen, da passierte es. Die zwei ›Kurren‹ (Schleppnetze) wurden gerade erst eine halbe Stunde über den Meeresgrund gezogen, als ein mächtiger Ruck den Holzkutter in seinen Fugen erschütterte. Eines der beiden Netze war irgendwo hängen geblieben. Die Fahrt wurde aus heiterem Himmel gestoppt. Der Ausleger, ein stählerner Balken, der quer zur Fahrtrichtung über Bord hängt,

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