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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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zu bemerken mit noch zwei Kollegen im Raum arbeitet, hat gerade etwas entdeckt, hebt es mit der Pinzette auf und tütet es ein. Auch der Polizeiarzt ist schon da. Er dreht Swensen den Rücken zu und beugt sich über den Toten, der auf die Seite gedreht am Boden liegt. An den Speckrollen, die sich unter dem engen Hemd abzeichnen, erkennt er sofort Michael Lade. Swensen stellt sich schräg hinter ihn und macht sich einen Eindruck vom Tatort. Die Leiche ist schon bewegt worden. Swensen zieht diese Feststellung aus ihrer Totenstarre, die eine skurrile Haltung erzeugt hat. Lade hat ihr die Hose heruntergezogen und misst rektal die Mastdarmtemperatur für eine Todeszeitbestimmung. Bei diesem Anblick kann Swensen eine gewisse Kuriosität nicht von der Hand weisen, zumal die offenen Augen der Leiche ihr den Ausdruck von Erstaunen verleihen.
    Ob er seinen Mörder gekannt hat, denkt Swensen und verdrängt mit der Frage seinen Anflug von Humor. Quatsch, beantwortet er sie sich selber, der Gesichtsausdruck eines Toten ist und bleibt nur meine subjektive Interpretation.
    Ohne sichtbaren Grund dreht Michael Lade sich plötzlich um. Er muss gespürt haben, dass ihn jemand von hinten beobachtet hat.
    »Ach du bist das, Jan!«
    »Hallo Michael, kannst du schon was sagen?«
    »Na ja, der Mann ist zirka 43 bis 44 Stunden tot. Zwei Herzschüsse, beide tödlich. Ich schätze, das ist der gleiche Täter, der auch schon im Storm-Haus zugeschlagen hat.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Fast haargenau der gleiche Ablauf. Erster Schuss ins Herz aus nächster Nähe, der zweite ein aufgesetzter Herzschuss, wieder mit einem Kissen um das Geräusch zu dämpfen. Außerdem befindet sich wieder keine Waffe am Tatort.«
    »Du sagst, die Todeszeit liegt nicht ganz zwei Tage zurück?«
    »Ziemlich genau, Körpertemperatur und diese bläulich roten Totenflecken, wie diese hier am Hintern, sind klare Indizien für meine Einschätzung.«
    »Das heißt, der Mann ist Freitagmorgen, lass mich rechnen …, zirka zwölf Stunden später als Kargel ermordet worden.«
    »Exakt! Ich bin jetzt fertig, die Leiche kann in die Gerichtsmedizin transportiert werden.«
    »Okay! Wenn ich noch Fragen hab, ruf ich dich an!«
    Swensen klopft Lade auf die Schulter und geht dann schnurstracks auf Hollmann zu. Der sucht gerade die aufgebrochene Türfüllung im Wintergarten mit einer Lupe ab.
    »Kann ich mich schon ein wenig im Wohnzimmer umsehen oder seid ihr mit dem Raum noch nicht durch?«
    Peter Hollmann zieht ein Paar Latex-Handschuhe aus der Tasche und reicht sie ihm.
    »Das Innere der Schränke und alle Schubladen sind von uns noch nicht untersucht, also Vorsicht!«
    Typisch Hollmann, denkt Swensen, und registriert das Verhalten seines Kollegen mit einem Lächeln.
    In der ersten Zeit war er über dessen wortkarge Kommunikation immer ziemlich pikiert gewesen, doch im Laufe der Zeit erkannte er, dass Hollmann während der Spurensuche in eine Art meditative Konzentration versank, in der er keine große Ablenkung zuließ.
    Die Spurensicherung erledigt die spirituelle Feinarbeit, denkt er in einem Anflug von Selbstmitleid und öffnet die erste Schranktür. Und die Ermittler sind die Männer für das archaisch Grobe!
    Seine Finger schwitzen im Latex. Systematisch durchforstet Swensen alle Möbel. Als er die Schreibtischschublade aufzieht, liegen dort zwei zusammengeschnürte Leinenpappen. Er packt die Schnurenden mit den Fingerkuppen, zieht sie auf, drückt seine Zeigefinger diagonal an die obere und untere Pappenecke und hebt die Pappe hoch. Darunter liegt ein Stapel vergilbten Papiers. Auf dem obersten Bogen steht: Detlef Dintefaß. Ein Roman von Theodor Storm.
     
    * * *
     
    »Okay, Rüdiger Poth!«, sagt Swensen mit lauter Stimme in die Runde und deutet mit dem Finger auf ein Foto, das er an die Pinnwand geheftet hat. »Rüdiger Poth wurde heute Nacht in seiner Wohnung tot aufgefunden. Zwei Herzschüsse, einer aus unmittelbarer Nähe, einer aufgesetzt. Schon der erste war tödlich. Vermutlich Kaliber 7,65.«
    »Dasselbe wie bei Kargel?«, fragt Silvia Haman.
    »Ja!«, bestätigt Swensen.
    »Und die Waffe, auch dieselbe?«
    »Wir müssen erst die ballistische Untersuchung abwarten. Aber zu den Parallelen in beiden Fällen kommen wir später. Erstmal zur Person des Rüdiger Poths. Er ist Journalist der ›Husumer Rundschau‹. Nach vorläufiger Untersuchung durch den Polizeiarzt ist der Tod am Freitagmorgen zwischen 8:00 und 9:00 Uhr eingetreten. Es fand kein Kampf statt.

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