Hafen der Träume: Roman (German Edition)
ich auch.« Er nickte. »Und Sybill weiß es auch.«
Mutter zog fragend die Augenbrauen hoch, ehe sie begriff, was er damit andeuten wollte. »Die Frau hat Mumm. Umso besser für sie. Seth kann stolz darauf sein, eine so tapfere Tante zu haben. Und außerdem kann er stolz darauf sein, dass Ray sein Großvater war.« Während sie sprach, hatte sie die langen Weißbrothälften belegt und klappte sie nun zusammen. »Ich glaube, Ray und Stella hätten das Mädchen gern gehabt.«
»Meinst du?« murmelte Phillip.
»Ja. Ich mag sie.« Mutter grinste wieder und wickelte die Sandwiches in weißes Papier. »Sie ist nicht hochnäsig, wie Nancy behauptet. Nur schüchtern.«
Phillip, im Begriff, die Lunchpakete vom Ladentisch zu nehmen, blieb der Mund offen stehen. »Schüchtern? Sybill?«
»Na klar. Sie versucht nur krampfhaft, ihre Schüchternheit zu überspielen. Und jetzt beeil dich und bring deinem Bruder die Buletten, ehe sie kalt werden.«
»Wieso soll ich mich für einen Haufen Schwule interessieren, die seit zweihundert Jahren tot sind?«
Seth hockte vor seinem aufgeschlagenen Geschichtsbuch, kaute Kaugummi und machte ein finsteres Gesicht. Aber nach einem Zehn-Stunden-Tag harter körperlicher Arbeit hatte Phillip keine Lust, sich auf Seths schlechte Laune einzulassen.
»Die Gründerväter unseres Landes waren keine Schwulen.«
Seth schnaubte verächtlich und wies mit dem Finger auf die ganzseitige Illustration des Kontinentalkongresses. »Die haben Lockenperücken auf dem Kopf und Weiberklamotten an. Für mich sind die schwul.«
»Das war damals Mode.« Phillip wusste, der Junge war mal wieder in einer seiner aufsässigen Stimmungen und wollte ihn provozieren. »Und jemand als ›schwul‹ zu bezeichnen, der sich anders anzieht und
anders aussieht als du, ist ein Zeichen von Intoleranz und Engstirnigkeit.«
Seth grinste. Es machte ihm manchmal richtig Spaß, Phillip zu ärgern, dass er wie jetzt mit den Zähnen knirschte. »Ein Typ mit einer Lockenperücke und Stöckelschuhen verdient es nicht anders.«
Phillip seufzte entnervt. Auch daran hatte Seth seinen Spaß. Eigentlich hatte er gar nichts gegen den Geschichtskram einzuwenden. Beim letzten Test hatte er eine glatte Eins geschrieben. Aber er fand es stinklangweilig, sich hinsetzen und die bekloppte Lebensgeschichte eines dieser Schwulis schreiben zu müssen.
»Weißt du eigentlich, wer diese Typen waren?« wollte Phillip wissen und kniff die Augen zusammen, als Seth den Mund aufmachte. »Sag es nicht noch einmal«, warnte er. »Ich werde dir erzählen, wer diese Männer waren. Rebellen, Unruhestifter, Kämpfertypen.«
»Die und Kämpfertypen? Dass ich nicht lache.«
»Sie haben sich an geheimen Orten versammelt, Flugblätter verfasst und aufrührerische Reden gehalten. Diese Männer haben England und besonders König George ganz schön Dampf unter dem Hintern gemacht.« In Seths Augen leuchtete ein Funken Interesse auf. »Es ging nicht in erster Linie um die Teesteuer. Das war nur der Auslöser, der Vorwand. Sie wollten sich von England nichts mehr vorschreiben lassen. Darum ging es.«
»Flugblätter verteilen und Reden halten hat doch nichts mit Kämpfen zu tun.«
»Sie öffneten den Menschen die Augen, dass es etwas gab, wofür sich zu kämpfen lohnte. Man muss den Leuten nur einen Ausweg zeigen. Wenn du zum Beispiel willst, dass Konsumenten nicht mehr die Marke X kaufen, musst du ihnen die Marke Y schmackhaft machen, das heißt, du stellst ein Produkt her, das besser oder stärker ist oder mehr Geschmack hat. Was wäre, wenn ich dir sage, dein Bubblicious Kaugummi ist Schrott?«
fragte Phillip und griff nach dem Päckchen auf Seths Schreibtisch.
»Mir schmeckt er aber.« Zum Beweis formte Seth eine riesige, pinkfarbene Blase.
»Na schön. Wenn ich behaupte, dein Kaugummi ist Schrott und die Leute, die ihn herstellen, sind fiese Typen, wirst du ihn nicht ausspucken, nur weil ich das sage, oder?«
»Genau.«
»Wenn ich dir aber eine neue Marke anbiete und dir von dem neuen Super-Duper-Bubblegum vorschwärme …«
»Super-Duper-Bubblegum? Mann, du haust mich um.«
»Halt den Mund. SDB ist besser, hält länger, kostet weniger. Wenn du SDB kaust, wirst du glücklich und stark. Und deine Freunde, deine Familie und deine Nachbarn, alle werden glücklich und stark. SDB – der Kaugummi der Zukunft, deiner Zukunft. SDB ist Spitze!« Phillip klang begeistert, mitreißend. »Bubblicious ist Schrott. Nur mit SDB erlangst du deine persönliche
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