Hafen der Träume: Roman (German Edition)
sein Sohn sein könntest.«
»Du hast aber trotzdem meinen Namen auf das Firmenschild gesetzt.«
Phillip sah ihn einen Moment verdutzt an, dann lachte er trocken. Manchmal tat man das Richtige, ohne darüber nachzudenken. »Ja, weil du zu uns gehörst. Sybill liegt viel an dir, und jetzt wissen wir auch den Grund. Wenn jemand einen anderen gern hat, ist es einfach dämlich, ihn zurückzuweisen.«
»Du meinst also, ich soll mit ihr reden und so.« Seth überlegte eine Weile. »Ich weiß aber nicht, was ich mit ihr reden soll.«
»Du hast doch mit ihr geredet, bevor du wusstest, wer sie ist. Du könntest es noch mal versuchen.«
»Vielleicht.«
»Du weißt, dass Grace und Anna schon mit den Vorbereitungen für deine Geburtstagsparty nächste Woche beschäftigt sind.«
»Ja.« Seth blickte wieder verlegen auf seine Kritzelei, um sein Grinsen zu verbergen. Er konnte es immer noch nicht fassen, nicht wirklich. Es gab ein Festmahl zu seinem Geburtstag, und er durfte sich wünschen, was es zu essen gab. Und dann so was wie eine Party mit seinen Kumpels am nächsten Tag. Party wollte er es eigentlich nicht nennen, denn Party klang wenig überzeugend, wenn man seinen elften Geburtstag feierte.
»Was hältst du davon, wenn du Sybill fragst, ob sie Lust hat zu kommen. Zum Familienessen.«
Das Grinsen verschwand. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich hat sie gar keine Lust zu kommen.«
»Wieso fragst du sie nicht? Vermutlich springt noch ein Geburtstagsgeschenk für dich raus.«
»Meinst du?« Nun war das Lächeln wieder da, zögernd und verschmitzt. »Und sie muss sich was Tolles einfallen lassen.«
»Junge, du hast es erfasst.«
KAPITEL 15
Die Besprechung beim Anwalt in Baltimore hatte sich eineinhalb Stunden hingezogen, und Sybill war aufgewühlt, zittrig und erschöpft. Sie war der Meinung, sich sorgfältig vorbereitet zu haben. Schließlich hatte sie zwei Tage Zeit gehabt, um sich alle Punkte zurechtzulegen, da sie gleich am Montag früh in der Kanzlei angerufen und sich einen Termin für Mittwochnachmittag hatte geben lassen.
Jetzt war es wenigstens ausgestanden. Zumindest war der erste Schritt getan. Es war ihr weitaus schwerer gefallen, als sie angenommen hatte, einem völlig Fremden – Anwalt hin oder her – die Geheimnisse und das Fehlverhalten ihrer Familie einzugestehen. Und sich selbst.
Nun stand sie im kalten, windgepeitschten Regen in Baltimore, angewiesen auf ihre nicht gerade berühmten Fahrkünste. Sie wollte das Autofahren in diesem Verkehr so lange wie möglich hinauszögern, ließ den Wagen in der Tiefgarage und beschloss, sich dem Regen als Fußgänger zu stellen.
Der Herbst hatte den Sommer in der Stadt schon ziemlich verdrängt, bemerkte sie beim Überqueren der breiten Straße. Die Blätter der Bäume färbten sich bereits rötlich und golden. Die Temperatur war durch die Nässe gesunken, und der Wind zerrte an ihrem Regenschirm, als sie sich dem Hafen näherte.
Es wäre natürlich angenehmer gewesen, die Altstadt an einem schönen Tag zu erkunden, die hübschen, renovierten, alten Häuser zu bewundern, den idyllischen Hafen, in dem die Nachbauten historischer Schiffe vertäut lagen. Aber selbst im kalten, prasselnden Regen hatte der Spaziergang seinen Reiz.
Bei dem hohen, steingrauen Wellengang konnte man kaum erkennen, wo das Wasser aufhörte und die tiefhängende, dunkle Wolkenschicht anfing. Es waren nur vereinzelt Passanten unterwegs. Touristen und Stadtbummler hatten Zuflucht in Cafés und Restaurants gesucht, und die wenigen Menschen, die unterwegs waren, hatten es sehr eilig.
Einsam und ratlos stand Sybill im Regen, blickte trübsinnig aufs Wasser und wusste nicht, was sie als Nächstes tun sollte.
Seufzend ging sie weiter und studierte die Schaufenster. Am Freitag war sie zu einer Geburtstagsparty eingeladen, und es war Zeit, ein Geschenk für ihren Neffen zu besorgen.
Sie verbrachte eine gute Stunde in dem Fachgeschäft für Künstlerbedarf, um das Richtige auszusuchen. Völlig versunken wählte sie einen Gegenstand nach dem anderen aus, ohne auf das glückliche Strahlen der Verkäuferin zu achten, als der Berg der ausgesuchten Artikel anwuchs. Sie hatte sechs Jahre kein Geburtstagsgeschenk für Seth gekauft und hatte einiges gutzumachen.
Es sollten genau die richtigen Stifte sein, die beste Auswahl an Ölkreiden. Sie suchte mit peinlicher Sorgfalt Aquarellpinsel unterschiedlicher Größe aus. Sie prüfte eingehend Stärke und Beschaffenheit von Zeichenpapier und grübelte
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