Hafen der Träume: Roman (German Edition)
Jahren hätte ich leicht ein formelles Abendessen für zwanzig Personen ausrichten können.«
»Wirklich?«
Sybill lachte leicht und ließ den Wein auf der Zunge prickeln. »Es ist auch wichtig, das zu können. Kannst du dir das Entsetzen vorstellen, wenn die Tischordnung nicht stimmt? Oder wenn zum Hauptgang ein minderwertiger Wein serviert wird? Ein ruinierter Abend, und das gesellschaftliche Ansehen in Scherben. In diesen Kreisen wird ein gewisses Niveau erwartet und kein billiger Merlot.«
»Warst du bei vielen formellen Abendeinladungen zu Gast?«
»Allerdings. Zuerst – sozusagen zu Übungszwecken und um mich zu prüfen – nahm ich an kleineren Gesellschaften teil, mit Vertrauten meiner Eltern. Als ich sechzehn war, veranstaltete meine Mutter eine große und wichtige Dinnerparty für den französischen Botschafter und seine Gattin. Ich hatte furchtbare Angst.«
»Dir fehlte die Übung?«
»Nein, geübt hatte ich genug. Ich bin stundenlang das Protokoll durchgegangen. Aber ich war entsetzlich schüchtern.«
»Ach?« murmelte Phillip und schob eine Haarsträhne hinter Sybills Ohr. Ein Punkt für Mutter Crawford, dachte er.
»Es war töricht. Aber jedes Mal, wenn ich mit Leuten Konversation machen musste, verkrampfte sich mein Magen, und mein Herz begann zu rasen. Ich lebte in der panischen Angst, meine Aussprache könnte feucht sein, ich würde etwas Unpassendes sagen oder mir fiele überhaupt nichts ein.«
»Hast du deinen Eltern davon erzählt?«
»Ihnen was erzählt?«
»Dass du Angst hattest?«
»Ach was.« Mit einer Handbewegung tat Sybill seine Frage ab, hob die Champagnerflasche und schenkte sich wieder ein. »Welchen Sinn hätte das gehabt? Ich musste tun, was von mir erwartet wurde.«
»Warum? Was wäre geschehen, wenn du dich geweigert hättest? Hätten Sie dich geschlagen oder in eine dunkle Kammer gesperrt?«
»Natürlich nicht. Meine Eltern waren keine Monster. Sie wären enttäuscht gewesen und hätten mein Verhalten missbilligt. Es war entsetzlich, wenn sie mich so ansahen … mit dünnen Lippen und kalten Augen … als stimmte etwas mit mir nicht. Mir erschien es leichter, die Sache durchzustehen, und nach einer Weile lernte ich, damit umzugehen.«
»Beobachtung statt direkter Teilnahme«, bemerkte Phillip ruhig.
»Ich habe eine beachtliche Karriere damit gemacht. Sicher, was die standesgemäße Heirat angeht, war ich pflichtvergessen, mein Leben beschränkt sich eben nicht auf das Ausrichten sterbenslangweiliger Dinnerpartys und die Aufzucht von zwei wohlgeratenen braven Kindern.« Sybill war zunehmend erhitzt. »Aber ich habe genutzt, was meine Eltern mir mitgegeben haben, und bin beruflich erfolgreich. Was ich heute tue, passt sicher besser zu mir als der Weg, den meine Eltern für mich vorgesehen hatten. Mein Glas ist leer.«
»Aber du warst verheiratet«, erinnerte Phillip sie.
»Das zählt nicht, wie ich bereits sagte. Es war keine standesgemäße Ehe. Wir haben Hals über Kopf geheiratet. Ein gescheiterter Rebellionsversuch. Ich bin eine lausige Revolutionärin. Hmm.« Sie trank einen Schluck Champagner und winkte mit dem Glas. »Der Geschäftspartner meines Vaters in England hatte zwei Söhne. Einen von ihnen sollte ich heiraten.«
»Welchen?«
»Egal. Einen von ihnen. Sie waren beide recht annehmbar. Entfernte Verwandtschaft mit der Königin. Meine Mutter wollte unbedingt, dass ihre Tochter in das Königshaus einheiratet. Es wäre ein gesellschaftlicher Triumph für sie gewesen. Ich war damals erst vierzehn,
also hatte sie genügend Zeit, alles in die richtigen Bahnen zu lenken. Offizielle Verlobung mit achtzehn, Heirat mit zwanzig und das erste Kind mit zweiundzwanzig, ich glaube, das war ihr Zeitplan für mich. Sie hatte die Details bereits sorgfältig ausgearbeitet.«
»Aber du hast nicht mitgespielt.«
»Ich bekam gar keine Gelegenheit. Vielleicht hätte ich mich gefügt. Sich ihrem Willen zu widersetzen erschien mir sehr schwer.« Sybill grübelte einen Augenblick nach und spülte ihre Gedanken mit einem weiteren Schluck Champagner weg. »Aber Gloria hat sie beide verführt, gemeinsam, im vorderen Salon unserer Wohnung, als meine Eltern in der Oper waren. Ich glaube, es war Vivaldi … Egal …« Sybill wedelte wieder mit der Hand und trank noch einen Schluck. »Als sie nach Hause kamen, fanden sie diese Situation vor. Es gab eine ziemliche Szene. Ich bin nach unten geschlichen und habe einen Teil miterlebt. Sie waren nackt … natürlich nicht meine
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