Hafen der Träume: Roman (German Edition)
wildfremden Leuten mehr als deinem eigenen Fleisch und Blut. Mach nur so weiter. Du hasst mich, du hast mich immer gehasst.«
»Ich hasse dich nicht, Gloria.« Aber Sybill war nicht weit davon entfernt. Der Schmerz in ihrem Kopf setzte sich in ihrem Herzen fort. »Und ich glaube Fremden
nicht mehr als dir. Ich versuche nur, beide Seiten zu verstehen.«
Gloria wandte das Gesicht zur Seite, damit Sybill ihre Genugtuung nicht sehen konnte. Endlich hatte sie den richtigen Knopf gedrückt, wie ihr schien. »Ich muss hier raus. Ich will mich waschen.« Wieder wurde ihre Stimme brüchig. »Ich kann nicht mehr darüber sprechen. Ich bin so müde.«
»Ich kümmere mich um den Papierkram. Es wird sicher nicht lange dauern.«
Als Sybill aufstand, griff Gloria erneut nach ihrer Hand und drückte sie an ihre Wange. »Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid, dass ich so hässliche Dinge zu dir gesagt habe. Du weißt, ich meine es nicht so. Ich bin nur völlig fertig und verwirrt. Ich fühle mich so einsam.«
»Schon gut.« Sybill zog ihre Hand zurück und ging zur Tür. Ihre Beine fühlten sich an, als seien sie aus Glas.
Im Flur schluckte sie zwei Aspirin und spülte sie zusammen mit Magentabletten hinunter, während sie auf die Papiere wartete. Körperlich hatte Gloria sich erschreckend verändert. Das einst auffallend hübsche Mädchen war hart geworden, fahl und vertrocknet wie altes Leder. Ihre Seele aber, fürchtete Sybill, war immer noch die eines unglücklichen, manipulierenden und verstörten Kindes, das ein teuflisches Vergnügen daran hatte, ihr Zuhause zu zerstören.
Sie würde darauf bestehen, dass Gloria sich einer Therapie unterzog. Und sollte sie ein Drogenproblem haben, würde sie außerdem dafür sorgen, dass Gloria eine Entziehungskur machte. Die Frau, mit der sie soeben gesprochen hatte, war auf keinen Fall in der Lage, das Sorgerecht für einen kleinen Jungen zu übernehmen. Sybill beabsichtigte, sämtliche Erkundigungen einzuziehen, um für das Kind die richtige Entscheidung zu treffen, bis Gloria wieder gesund war und Verantwortung
für sich und ihren Sohn übernehmen konnte.
Sie brauchte einen Rechtsberater. Gleich morgen würde sie sich mit einem Anwalt in Verbindung setzen und mit ihm über Glorias Rechte und über Seths Wohlergehen sprechen.
Und sie musste eine Aussprache mit den Quinns herbeiführen.
Bei diesem Gedanken verkrampfte sich ihr Magen endgültig zu einem steinharten Knoten. Eine Konfrontation war unumgänglich. Aber nichts machte Sybill unglücklicher, nichts verletzte sie mehr als böse Worte und hasserfüllte Gefühlsausbrüche.
Sie würde sich vorbereiten. Sie würde sich die Zeit nehmen und sich zurechtlegen, was gesagt werden musste, sie würde sich auf die Fragen und Forderungen der Gegenseite vorbereiten, um die passenden Antworten zu geben. Und in erster Linie würde sie ruhig und sachlich bleiben.
Als sie Phillip das Polizeigebäude betreten sah, war ihr Verstand wie ausgebrannt. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie stand wie gelähmt, als sein Blick sie streifte, seine Augen sich verengten und verhärteten.
»Was machen Sie denn hier, Sybill?«
»Ich …« Es war nicht Panik, die sie durchflog, nur Verlegenheit und Scham. »Ich hatte hier zu tun.«
»Tatsächlich?« Er trat näher, während seine Brüder in abwartendem Schweigen zurückblieben. Er las es in ihrem Gesicht – Schuldbewusstsein und mehr als nur eine Spur von Angst. »Und aus welchem Grund?« Als sie ihm die Antwort schuldig blieb, legte er den Kopf schräg. »Was sagt Ihnen der Name Gloria DeLauter, Dr. Griffin?«
Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten und mit fester Stimme zu antworten. »Sie ist meine Schwester.«
Sein Zorn war eiskalt und mörderisch. Er ballte die
Fäuste in den Hosentaschen, um sich daran zu hindern, etwas Unverzeihliches zu tun. »Wie reizend. Sie Miststück«, sagte er leise, beinahe freundlich, doch Sybill zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. »Sie haben mich benutzt, um an Seth heranzukommen.«
Sie schüttelte den Kopf, war jedoch unfähig, ihm zu widersprechen. Hatte er nicht Recht? Sie hatte ihn benutzt, hatte sie alle benutzt. »Ich wollte ihn nur sehen. Er ist der Sohn meiner Schwester. Ich wollte mich davon überzeugen, ob es ihm gut geht.«
»Und wo, zum Teufel, waren Sie die letzten zehn Jahre?«
Sie öffnete den Mund, doch die Rechtfertigungen und Erklärungen blieben ihr im Hals stecken, als Gloria herausgeführt wurde.
»Nichts wie weg hier. Komm
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