Hafenmord - ein Rügen-Krimi
zog einen Ordner aus seiner Aktentasche zu seinen Füßen und setzte seine Lesebrille auf, die nach Romys Auffassung völlig deplatziert in seinem Gesicht wirkte, aber sie behielt ihre Meinung für sich.
»Geschwister gibt es nicht. Richardt stammt übrigens aus Lübeck, wo die Eltern in einer schnieken Seniorenresidenz leben«, berichtete Kasper und sah kurz hoch. »Ich hab dagleich vom Geschäft aus angerufen. Zurzeit befindet sich das Ehepaar auf Kreuzfahrt im Mittelmeer, wie fast jedes Jahr um diese Zeit.«
»Können wir sie dort irgendwie erreichen?«
»Schon, aber … Wenn es nicht dringend erforderlich ist, sollten wir abwarten, bis sie wieder im Lande sind. Das rät uns auch die Heimleitung.«
»Ach? Warum?«
»Der familiäre Kontakt ist nicht der Rede wert. Richardts Sekretärin verschickt zum Geburtstag der Mutter immer einen üppigen Blumenstrauß. Für den Vater gibt es einen teuren Wein. Zu Weihnachten läuft das ähnlich«, berichtete Kasper. »Wir sollten denen nicht die Reise vermiesen, wenn es nicht unbedingt nötig ist, und bis die Leiche zur Beerdigung freigegeben wird, vergehen noch locker zwei Wochen.«
»Na schön, und falls die Witwe anderer Meinung ist und die Eltern benachrichtigt …«
»Ist das ihre Sache.« Kasper nickte. »Sehe ich auch so.«
»Hast du mal nachgebohrt, was die Ehe der beiden angeht?«, hakte Romy nach.
»Der Mann hat Privates und Geschäft strikt getrennt. Das sagen alle. Zu Vermutungen oder Tratsch wollte sich niemand hinreißen lassen. Wäre auch ein denkbar schlechter Zeitpunkt.« Kasper zuckte mit den Achseln. »Ich denke …«
Er brach ab, als Fine um die Ecke polterte und mit dem Telefonhörer wedelte. »Rechtsmedizin. Wer will?«
Romy streckte die Hand aus. »Guten Morgen. Kommissarin Ramona Beccare am Apparat. Das ging ja schnell«, sagte sie.
»Dr. Möller – Ulrich Möller«, entgegnete eine tiefe Stimme. »Nun, die meisten Untersuchungen stehen noch aus, aber ich glaube, ich habe vorweg schon mal was Interessantes für Sie, das für die weiteren Ermittlungen bedeutsam sein könnte.«
»Ich bin gespannt«, sagte Romy und stellte den Lautsprecher an.
»Der Mann ist am frühen Sonntagmorgen gestorben – er hat heftige Prügel bezogen«, hob der Rechtsmediziner an.
Hochinteressant, dachte Romy. Das habe ich gestern Abend schon gewusst. Sie räusperte sich und hob eine Braue, während sie Kasper einen vielsagenden Blick zuwarf.
»Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber das ist uns bei der Tatortbesichtigung nicht entgangen, Dr. Möller«, bemerkte sie mit einem Lächeln in der Stimme.
Der Mediziner lachte amüsiert auf. »Ich begrüße es sehr, dass Sie offenbar aufmerksam hingesehen haben – das tun beileibe nicht alle Kriminalbeamten. Zugleich gehe ich jedoch stark davon aus, dass ich Ihnen etwas Neues sage, wenn ich darauf hinweise, dass das Opfer nicht etwa verprügelt wurde und kurz darauf verstarb.«
»Sondern?«
»Nach den bisherigen Untersuchungen der zahlreichen Hämatome am ganzen Körper, die aufgrund stumpfer Gewalt entstanden sind, halte ich es für denkbar, dass der Mann ungefähr einen Tag vor seinem Tod massiv geschlagen wurde, aber erst am Sonntagmorgen den tödlichen Hieb auf den Kopf erhielt.«
Das war in der Tat neu. »Interessant.«
»Nicht wahr? Darüber hinaus lässt der Zustand seiner Haut den Schluss zu, dass er ziemlich ausgetrocknet und entsprechend geschwächt war«, ergänzte Möller. »Die Abdrücke der Fesseln belegen, dass er eine ganze Weile daran gezerrt und sich zu befreien versucht und schließlich entkräftet aufgegeben hat. Zum Mageninhalt kann ich noch nichts sagen. Im Moment spricht sehr viel dafür, dass der Mann dort eine ganze Weile festgehalten wurde und keine gute Zeit hatte.«
Romy pfiff leise.
»Sehen Sie. Dachte ich mir doch, dass Sie dieser Information erhöhte Aufmerksamkeit schenken würden«, sagte Möller, und er klang sehr zufrieden. »Haben Sie bereits die Tatwaffe gefunden?«
»Noch nicht. Was käme denn Ihrer Ansicht nach infrage?«
»Ein schwerer, länglicher, glatter Gegenstand«, antwortete Möller prompt. »In der Wunde fanden sich keinerlei Rückstände. Eine Glasflasche wäre denkbar.«
»Danke, Dr. Möller. Ich freue mich schon auf Ihren ausführlichen Bericht. Ach, bevor ich es vergesse: Wir brauchen den Zahnstatus des Opfers für einen Abgleich. Die Witwe wird sich unter Umständen weigern, eine Identifizierung vorzunehmen, und andere nahe Verwandte sind nicht
Weitere Kostenlose Bücher