Hafenmord - ein Rügen-Krimi
Und bevor Sie sich wieder über meine insistierenden Fragen aufregen: Wenn die Suche auf dem Hafengelände und die kriminaltechnischen Untersuchungen abgeschlossen sind, wird man, falls Sie dort gewesen sind, Spuren von Ihnen finden. Dazu reicht ein einzelnes Haar, ein Fußabdruck, Kaugummi …«
Romy trug ein bisschen dick auf, denn auf dem Geländegab es so viele Spuren, dass die Techniker Monate dort zubringen müssten, um jedes Detail eingehend zu prüfen. Doch das musste sie Beier nicht unter die Nase reiben.
»Ich hasse Kaugummi, und ich war in Berlin«, sagte er ruhig. »In einem kleinen Hotel in Mitte – Adresse schreibe ich Ihnen auf. Um halb acht haben wir alle zusammen gefrühstückt, danach ein paar Entspannungsübungen gemacht und uns umgezogen. Gegen halb zehn Uhr sind wir aufgebrochen. Und ansonsten will ich jetzt gehen.«
»Das ist mir klar. Übrigens, nur so am Rande: Kai Richardt wurde übel verprügelt …«
»Mir kommen gleich die Tränen – wie gesagt: falls Ihre Vermutungen stimmen.«
»Daran ist er aber nicht gestorben.«
Interesse blitzte in seinen Augen auf. Er verschränkte die Hände ineinander.
»Jemand hat ihn halbtot geschlagen, aber eben nur halb. Richardt hat erst einen Tag später, nämlich am frühen Sonntagmorgen, einen Schlag auf den Kopf bekommen, den er nicht überlebte«, fuhr Romy fort. »Wir haben den Eindruck, dass es jemand ganz spannend machen wollte: Richardt wird überwältigt, als er in das abgelegene, alte Gebäude hinter der Fischfabrik geht. Er wird massiv verprügelt und dann gefesselt zurückgelassen. Vielleicht sollte der Mann Gelegenheit erhalten, über all seine Missetaten nachzudenken. Was meinen Sie?«
Sie wartete, aber Beier sagte nichts dazu.
»Einen Tag später taucht der Entführer wieder auf – das erhöht die Spannung – und gibt ihm den Rest«, erläuterte Romy weiter. »Am Abend ruft er anonym die Polizei an. Kai Richardt sollte gefunden werden. Ich halte das für einen sehr wichtigen und höchst interessanten Aspekt, zum Beispiel auch hinsichtlich der Tatsache, dass der Entführer und Mörder sich verdammt sicher fühlt.«
Beier zog die Schultern hoch, aber Romy nahm ihm die Gelassenheit nicht ab. Er war deutlich angespannt.
»Herr Beier, wir haben Ihre Stimme auf Band und werden sie prüfen«, erklärte die Kommissarin. »Auch wenn der Anrufer seine Stimme verstellt hat – charakteristische Merkmale lassen sich dennoch herausfiltern und taugen zum Vergleich.«
»Wie schön. Kann ich jetzt gehen?«
»Ja. In den nächsten Tagen müssten Sie das Protokoll der Befragung unterschreiben.«
»Ich kann es kaum abwarten.«
»Das dachte ich mir.« Sie lächelte.
»Also, ich glaube ihm«, sagte Kasper, als Beier aus der Tür war.
Und ich würde ihm gern glauben, dachte Romy. Ihr schwirrte der Kopf, und ein leichter Schwindel machte ihr zu schaffen, als sie gemeinsam nach vorne gingen, wo Max Breder bereits auf sie wartete.
»Die haben Zeit bis morgen«, sagte Romy erschöpft und drückte ihm die Vernehmungsbänder in die Hand. »Wir machen Feierabend.«
»Aber eine zeitnahe Datenauswertung …«
»Morgen früh ist zeitnah genug. Dann kriegst du auch meine Notizen zum Gespräch mit Mirjam Lupak. Der Tag war ereignisreich genug. Und viel zu lang.«
7
Romy hatte trotz ihrer Erschöpfung schlecht geschlafen. Sie hatte noch nie mit einem Fall zu tun gehabt, der gleich drei weitere, über gut anderthalb Jahrzehnte verteilte Verbrechen hinter sich herzog, geschweige denn als leitende und damit verantwortliche Ermittlerin.
Jeder einzelne Fall war brisant und vielschichtig genug, um eine ganze Abteilung zu beschäftigen, und egal, wo sie mit welcher Begründung die Prioritäten setzte – sie konnte immer danebenliegen und genau den Aspekt zu spät berücksichtigen, der vorrangig hätte behandelt werden müssen. Schlauer war man meistens hinterher.
Um sechs Uhr war sie aufgestanden und hatte sich zehn Minuten unter die Dusche gestellt, um ihre Lebensgeister zu wecken.
»Je mehr Fakten und Einzelaspekte, Indizien und Erklärungsmuster auf dich einströmen, desto wichtiger ist es, die zugrunde liegende Idee, von der der Fall getragen wird, den entscheidenden Ansatz nicht aus den Augen zu verlieren«, hatte Moritz immer gesagt. Welche Idee? Gab es nur eine oder mehrere?
Romy schlug den Kragen ihrer Jacke hoch, als sie aus der Haustür trat. Sie startete fröstelnd in den frühen kalten Morgen und fuhr über Zirkow nach Bergen. Der Himmel
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