Hafenmord - ein Rügen-Krimi
wechselte sie dann das Thema. »Sehen Sie es sich bitte genau an. Vielleicht ist sie Ihnen ja doch bei irgendeiner Gelegenheit aufgefallen.«
Romy glaubte nicht daran, aber ein Versuch konnte nicht schaden.
»Aber was spielt das denn noch für eine Rolle?«, wandte Ricarda ein. »Ich denke, Sie wissen, dass er es war, und verurteilen können Sie ihn ja doch nicht mehr.«
»Das ist völlig richtig, aber wir müssen den Fällen trotzdem im Detail auf den Grund gehen, um sie endgültig zu den Akten legen zu können. Außerdem erhoffen wir uns bei unseren Recherchen erhellende Hinweise bezüglich des Mords an ihm. Ein Zusammenhang mit den Entführungen ist sehr wahrscheinlich.«
»Nun gut, schicken Sie mir das Foto. Ich melde mich, falls mir etwas dazu einfällt.« Sie diktierte der Kommissarin ihre Mailadresse.
»Danke, Frau Meinold.« Romy verabschiedete sich beiläufig.
Eine Antwort erhielt sie nicht.
Tim wusste, dass es ein Fehler gewesen war, Mirjam am Montagmorgen in der Praxis anzurufen, noch dazu mit seinem eigenen Handy. Ein großer, weil unnötiger und dummer Fehler. Falls die Kommissarin mit den irritierend dunklen Augen und den wilden, schwarzen Locken ihren Hinweis ernst meinte und seine Verbindungen überprüfen ließ, würde die Bergener Polizei sehr bald wieder auf der Matte stehen. Und irgendeine blödsinnige Ausrede würden sie ihm ganz sicher nicht abnehmen.
Andererseits: Sein Alibi war nicht nur gut, es stimmte sogar, und unter Umständen sparte die Polizei sich weitere Nachforschungen, weil sein Auftritt überzeugend gewesen war und andere Aspekte in den Vordergrund rückten. Außerdem hatten die gerade mehr als genug zu tun, und Bergen auf Rügen war nicht New York oder Berlin. Die Uhren tickten hier ein bisschen anders, vor allen Dingen langsamer. »Unter Umständen« war eine Bezeichnung, die ihm nicht gefiel. In diesem Zusammenhang schon gar nicht.
Steffens eindringliche Stellungnahme war überzeugend gewesen. Keine Frage – seit sie sich kannten, hatte der Freund sich grundsätzlich an Tims Vorgaben und Vorschläge gehalten, an seine Anweisungen sowieso. Und doch schwang da noch etwas anderes mit. Tim wusste, dass Steffen ihm sein Leben lang dankbar sein würde. Darüber sprachen sie nicht großartig. Die Ermordung von Kai wäre – erst recht nach dem, was Tim inzwischen noch über die Verbrechen des Mannes erfahren hatte – der größte Freundschaftsdienst, den Steffen ihm je hätte erweisen können. Das war ihnen beiden unausgesprochen klar. Wenn er es denn war.
Aber daran zweifelte Tim kaum noch. Nach seiner tiefen Überzeugung leugnete Steffen die Tat vehement, um es dem Freund besonders einfach zu machen.
Tim stand auf und verließ das kleine Büro, um die eingetroffenen Waren auszupacken. Sein kleines Sportgeschäftwar nicht gerade ein Verkaufsrenner, aber es hielt sich besser, als man es in Zeiten von Internetläden und großen Sportketten erwarten durfte. Sein Schwerpunkt lag auch nicht im Verkauf, sondern in der individuellen Beratung, und die saftigen Honorare, die er als persönlicher Fitnesstrainer mittlerweile verdiente, waren höchst erfreulich.
Er begleitete Bankmanager bei ihren morgendlichen Joggingrunden, beriet und trainierte ambitionierte Freizeitläufer genauso wie Menschen, die etwas gegen ihr Übergewicht tun oder den Traum vom Marathon endlich verwirklichen wollten. Seit einiger Zeit arbeitete Tim mit einem Fitnessstudio zusammen und war optimistisch, dass sich die Dinge stetig zum Besseren entwickeln würden. Er hätte zufrieden sein können.
Als Mirjam an jenem Tag vor einigen Wochen völlig unerwartet vor seinem Laden gestanden hatte, war ihm im Bruchteil einer Sekunde klargeworden, dass es immer noch nicht vorbei war. Sie war blass und seltsam atemlos gewesen. Ein Läufer sieht, wenn jemand falsch atmet. Mirjam atmete nicht vernünftig aus, sie stieß die Luft nur unvollständig und in hektischem Rhythmus heraus.
Tim war zur Tür geeilt, hatte sie geöffnet, und jene grauenvollen Tage vor über fünf Jahren waren mit ganzer Wucht zurückgekehrt, noch bevor sie ein Wort über die Geschehnisse verloren hatte, die sie nach der langen Zeit der Funkstille zu ihm führten.
Sie war damals einfach verschwunden gewesen, und er hatte es nicht mitbekommen, weil er so intensiv mit seinem Laden und dem Sport beschäftigt war und nach Spanien geflogen war – zu einem Laufseminar. Das würde er sich nie verzeihen können. Nach zehn Tagen fand man sie auf einem
Weitere Kostenlose Bücher