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Hafenmord - ein Rügen-Krimi

Hafenmord - ein Rügen-Krimi

Titel: Hafenmord - ein Rügen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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übersät.
    »Wir hatten vor einigen Wochen eine Crosslaufveranstaltung, und ich stelle gerade Artikel und Fotos für unserePinnwand im Vereinslokal zusammen«, erzählte er. »Sieh dir doch mal die Aufnahmen an.«
    »Warum?«
    »Ist nur so eine Idee. Irgendwas macht mich stutzig. Sieh sie dir einfach an.«
    Sie zögerte nur kurz. Das vierte Bild zeigte ihn an einem Erfrischungsstand. Er hob seinen Trinkbecher, als wollte er dem Fotografen zuprosten, und strahlte. Sie spürte, wie sie erbleichte, und hielt Tim die Aufnahme vors Gesicht. »Das ist er.«
    Tim war plötzlich mindestens genauso blass wie sie. »Und da bist du dir ganz sicher?«
    »Ich bin hundertprozentig sicher, dass dieser Mann bei der Aufführung in der Kunstscheune hinter mir gesessen hat und seine Stimme … alles zurückgebracht hat.« Sie schluckte. »Meine Güte – das ist natürlich kein Beweis, und alle, mit denen ich bisher darüber gesprochen habe, sagen, dass er einen Erinnerungspuls in mir ausgelöst hat, aber …«
    »Ich weiß, was du meinst«, unterbrach Tim sie. »Man kann es nicht ausschließen, und du willst wissen, woran du bist.«
    Er machte eine Pause und starrte an ihr vorbei. »Ich will es auch wissen, und ich kümmere mich darum«, fügte er schließlich hinzu.
    »Was hast du vor?«
    »Ich kümmere mich darum«, wiederholte er. »Es ist ganz einfach: Ich werde herausfinden, ob er der Täter war.«
    »Und dann?«
    »Das weiß ich noch nicht. Aber vertrau mir.«
    Als sie einige Minuten später den Laden verließ, war ihr Herz um ein Vielfaches leichter, und sie konnte durchatmen. Tim hatte sie nicht nur ernst genommen, er würde sich auch kümmern. Was für wunderbare Worte! Sie zweifelte nicht einen Moment daran, dass es ihm gelingen würde, die Wahrheit herauszufinden.
    Alles wird gut, dachte sie, als sie in ihren Wagen stieg. Jetzt wird endlich alles gut.
     
    Erna Tihle hatte viel Zeit. Seit die Beine kaum noch wollten und sie die meiste Zeit im Rollstuhl saß, noch mehr als zuvor. Sohn und Schwiegertochter waren den ganzen Tag außer Haus, die Enkel lebten inzwischen in Neubrandenburg und Schwerin, und Erna war einen Großteil des Tages auf sich allein gestellt. Mittags kam eine Pflegerin vorbei, um eilig vorbeihastend nach dem Rechten zu sehen und sich zu vergewissern, dass Erna ihre Tabletten genommen hatte, zwischendurch rief der Sohn mal an. Er wollte hören, dass es ihr gutging und an nichts mangelte. Sie tat ihm den Gefallen und beklagte sich niemals. Auch wenn sie mal Schmerzen hatte oder die Einsamkeit sie so sehr einschnürte, dass sie nur schwer Luft bekam.
    Erna verbrachte viele Stunden vor dem Fernseher, weil sie die Liebesschnulzen mochte und dem Vorabendkrimi entgegenfieberte. »Soko Köln« liebte sie besonders, weil der ältere Kommissar mit dem betagten französischen Auto so wunderschön lächeln konnte und immer für einen Scherz aufgelegt war; »Soko Wismar« war eher amüsant als spannend. Sie las viel, blätterte Fotoalben durch und mühte sich mit ihrem Rollstuhl von Zimmer zu Zimmer, um wenigstens das zu tun, was ihr körperlich noch möglich war: Staub wischen, Blumen gießen, ein bisschen aufräumen und in Schwung bleiben.
    Einmal am Tag telefonierte sie mit einer Freundin in Bergen, fast jede Woche fuhr der Sohn sie zu einer Veranstaltung ins Seniorenheim, wo Filme gezeigt wurden, Kartenspiel-Turniere stattfanden oder ein Chor sein Können zum Besten gab – was nicht immer ein Genuss war.
    Sechsundachtzig war kein Alter für große Sprünge, für Erna nicht mehr. Sie versuchte, sich damit abzufinden. AndereSenioren unternahmen Reisen, schmissen ihren Haushalt noch mit links oder zumindest weitestgehend selbständig und meldeten sich zu Nordic-Walking- und Computer-Kursen an. Sie schaffte das nicht mehr und haderte manchmal damit.
    Besonders die Spaziergänge am Meer fehlten ihr. Der Blick in die blaue Weite, der so viel Licht in die Seele ließ. Dafür war ihr Gehör noch sehr gut, sie sah besser als ihr Sohn, was sie insgeheim amüsierte, und senil war sie auch nicht. Jedenfalls war sie davon überzeugt. Ein bisschen schusselig manchmal – aber nicht senil.
    Es ist ein schönes Leben hier draußen in Buschvitz, dachte sie häufig. An Tagen, die ihr grau und schwer schienen, ohne dass sie einen vernünftigen Grund dafür anführen konnte, der über das Hadern mit den Widrigkeiten des Altwerdens hinausging, wiederholte sie den Satz wie ein Mantra. Kinder und Enkel sind wohlgeraten, jeder hat

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