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Hafenmord - ein Rügen-Krimi

Hafenmord - ein Rügen-Krimi

Titel: Hafenmord - ein Rügen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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kleinen Rastplatz an der A 20. Mit Medikamenten betäubt, unter Schock und eigentümlich … sauber. Gewaschen. Rein.
    Die Polizei zog daraus die Schlussfolgerung, dass Mirjams Entführer dafür gesorgt hatte, dass keinerlei Spuren nachweisbar waren. Sie selbst erzählte später, als sie in der Lage dazu war, Einzelheiten des Geschehens wiederzugeben, dass er sie immer wieder gewaschen hatte. Täglich. Nachdem er sie vergewaltigt hatte. Täglich. »Täglich« bedeutete: bei jedem seiner Besuche in ihrem dunklen Gefängnis, in dem es keine Fenster gab und sie nicht sehen konnte, ob es Tag oder Nacht war.
    »Aber das war nicht das Schlimmste«, hatte sie irgendwann Wochen später mit tonloser Stimme zu ihm gesagt. »Das Schlimmste war die Angst. Es war ihm wichtig, dass ich Angst hatte. Angst vor ihm und seiner Macht. Angst vor der Dunkelheit und davor, dass er alles sehen konnte und alles mitbekam und alles von mir wusste. Es gab keinen Schlupfwinkel, in den ich mich zurückziehen und für mich sein konnte.«
    »Wie meinst du das?«, hatte Tim nachgefragt.
    »Er wusste alles Mögliche von mir: Er wusste, wo ich wohne und welchen Beruf ich habe, und er kannte meine Arbeitsstelle. Er wusste auch, was ich in der Dunkelheit tat, wenn er nicht da war, und das war besonders erschreckend. Manchmal dachte ich, dass er gar nicht wegging, sondern mir die Augen verband und nur so tat, als würde er gehen – um mich in Sicherheit zu wiegen. Stattdessen blieb er und beobachtete mich. Ich lauschte stundenlang auf seinen Atem und bildete mir ein, ihn zu hören. Manchmal rief ich nach ihm und flehte ihn an, mir zu antworten. Später wurde mir klar, dass er eine Kamera laufen ließ und darum genau sagen konnte, wann ich mich umgedreht hatte oder dass ich niesen musste oder besonders verzweifelt war …«
    Ihre Beziehung zerbrach einige Monate später. Mirjam trennte sich von Tim. Sie konnte seine Berührung nicht ertragenund auch nicht seine Nähe, und noch weniger konnte sie es ertragen, ihm ständig mit ihrer Zurückweisung wehzutun. Sie brauche Zeit nur für sich, sagte sie, und irgendwo verstand er sie.
    Was ihn nicht losließ, war die Tatsache, dass er keine Chance mehr hatte. Auch nicht, als es ihr besser ging, als die Therapie Wirkung zeigte, als die Wunde sich zu schließen begann – mit zarter neuer Haut. So jedenfalls stellte Tim es sich vor.
    Dann gab es plötzlich Ben. Ein ganz neues Leben. Tim empfand es als Strafe dafür, dass er nicht zur Stelle gewesen war, als Mirjam ihn zum ersten Mal wirklich gebraucht hatte. Der Gedanke war quälend und tröstend zugleich – wenigstens gab es eine Erklärung.
    Tim sah auf die Uhr. Es war noch jede Menge Zeit. Am Abend würde er Steffen nach Drigge fahren. Mindestens eine Woche sollte er dort bleiben. In einer Woche konnte viel passieren. Vielleicht verhaftete die Polizei jemanden, der sich verdächtig machte, vielleicht wurden die Ermittlungen eingestellt, weil man die Chancen auf Ergebnisse als zu gering einschätzte.
    Tim hoffte, dass Steffen umsichtig gewesen war und keine Spuren hinterlassen hatte. Er hoffte auch, dass Kai im Angesicht des Todes begriffen hatte, wer ihm eigentlich den Hieb verpasste. Nichts bleibt je ungesühnt, dachte er. Rache kann ein köstlicher Genuss sein.
     
    Mit Ben konnte sie nicht darüber sprechen. Mit ihrem Therapeuten auch nicht. Und schon gar nicht mit Eltern, Freunden oder Arbeitskolleginnen. Wenn sie einen Hund gehabt hätte, wäre er der Richtige gewesen. Hunde waren die besten Zuhörer überhaupt, besser noch als Katzen, weil sie die Fähigkeit hatten, Anteilnahme und Mitgefühl zu äußern. Zumindest gaben sie einem dieses Gefühl. Jeder kleine Mopskonnte einem verzweifelten Menschen Verständnis, Wärme und Nähe signalisieren.
    Mirjam war nach allem, was sie inzwischen erfahren hatte, davon überzeugt, dass Tim Kai getötet hatte, und sie konnte ihn nicht nur verstehen, sondern musste auch einen Teil der Verantwortung für die Tat übernehmen und ihn schützen. Um Schuld ging es hier nicht. Wenn jemand verdient hatte, so zu sterben, dann der Mann, der nicht nur ihr Leben fast zerstört, sondern auch andere Frauen gequält, sogar ermordet hatte und ganz bestimmt weitere Opfer gesucht und gefunden hätte. Kai Richardt.
    Die Möglichkeit eines Irrtums war juristisch nicht auszuschließen. Theoretisch konnte es auch ein anderer gewesen sein. Theoretisch konnte irgendwann der Mond vom Himmel fallen. Mirjam war so sicher, wie man sicher sein

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