Hafenweihnacht
schlimm ausgesehen. Dieser Schnee auf dem Gesicht. Ich habe irgendwie gleich gefühlt, dass er tot ist.«
»Es waren keine Fußspuren im Schnee zu sehen«, stellte Lydia Naber fest.
»Nein. Das weiß ich ganz gewiss. Das war ja so grausig. Es sah so unberührt aus, diese helle Fläche und dann dieses Bündel da.«
Funk schaltete sich wieder ein. »Mhm. Und Sie sind dann den Steg wieder zurückgelaufen und haben gewartet, bis unsere Kollegen da waren.«
»Ja …. ah, halt!«, rief sie laut aus und richtete sich auf, »da war noch dieser Mann, ja genau, dieser Mann stand da plötzlich.«
»Ein Mann?«
»Ja, ach Gott, das habe ich ja fast vergessen. Als ich mich umgedreht hatte und wieder zurückwollte, bin ich so erschrocken, weil am Rand der einen Bude ein Mann stand. Ich hab glaube ich kurz aufgeschrien, weil ich so erschrocken bin. Er hat sich umgedreht und ist davongelaufen. Ich habe ihm noch ein-, zweimal nachgerufen, aber er hat sich gar nicht mehr umgedreht und ist davon.«
»Wohin ist er denn davon?«, fragte Lydia.
»Er ist in Richtung Altes Rathaus davon. Jesus, wie hab ich das nur vergessen können.«
»Können Sie ihn beschreiben?«, fragte Robert Funk.
»Oje, beschreiben … wie macht man denn das?«
Robert Funk half: »Wie groß war er, welche Statur, hatte er eine auffällige Art zu gehen, welche Kleidung konnten Sie erkennen …«
»Also groß war er nicht, weil er lehnte an der Bude und hat zu mir hergesehen, und er reichte gerade mal so über die Lade für die Verkaufsluke. Er hatte so eine amerikanische Mütze auf … wie mein Sohn da«, sie deutete auf eines der Bilder am Sideboard, »… allerdings schauten bei ihm nicht die Haare raus und er hatte noch ein Stirnband um, das habe ich gesehen, wie er sich umgedreht hat.«
»Baseballmütze«, stellte Robert Funk fest.
»Ja, und er hatte einen Mantel an, weil der so lang war und um die Beine wedelte. Das sah so komisch aus. Also es ist schwer zu beschreiben … also er war halt so ein kurzer Stumpen, wie man das so sagt.«
Lydia Naber nickte zustimmend. »Das ist wirklich gut beschrieben, Frau Pasternak. Man könnte also sagen, ein kleinerer, untersetzter Mann mit kurzen Haaren. Zum Alter können Sie uns nichts sagen, was meinen Sie?«
»Na ja, das war kein Junger mehr. Ist schon komisch. Ich habe ihn so richtig nicht gesehen, aber der war vielleicht so in meinem Alter.«
Lydia Naber und Robert Funk waren nicht unzufrieden mit ihrem Besuch. Sie hinterließen ihre Telefonnummer, falls ihr noch etwas einfallen würde.
»Was meinst du zu dem Stumpen mit Baseballmütze, Mantel und Stirnband?« fragte Lydia Naber, als sie zurück im Auto waren.
»Tja. Das kann nun alles Mögliche gewesen sein«, kam es unbestimmt von Robert Funk, der sich auf die Geschichte keinen Reim machen konnte.
»Ich finde das schon komisch, muss ich dir sagen. Der muss doch von der Stelle aus gesehen haben, dass da einer liegt. Das sind ja höchstens zehn Meter. Und wenn er schon abhaut, dann hätte er doch wenigstens anrufen können. Es gab aber nur den Anruf von Frau Pasternak.«
»Du hast schon recht, aber andererseits weißt du ja auch, wie sie so sind, die Menschen.«
Sie sah Robert Funk von der Seite an. »So wie du das sagst, könnte man meinen, wir wären so ne Art Außerirdische.«
»Sind wir doch auch.«
Robert Funk hatte das Auto am Reichsplatz abgestellt. Von da hatte es Lydia Naber nicht weit zu den Hotels, wo sie sich durchfragen wollte. Er selbst ging durch die Ludwigstraße in Richtung Theater, um sein Glück bei Jochen Drohst zu versuchen. Er schaffte es nicht auf direktem Weg, denn ein Blick in das Schaufenster von Antiquitäten Uhsemann zwang ihn zu einer kurzen Ladenrunde. Von außen hatte er einige neue Gemälde entdeckt. Drei romantische Landschaften vom Untersee mit Blick über eine weitläufige, sommerliche Parklandschaft, dahinter der See und die schneeglänzenden Gipfeln der Bergkette von Säntis und Altmann. Dekoriert war die Idylle mit Schafen, Ziegen, Kühen, einem jungen Hirten natürlich – und das Mädchen mit dem Brotzeitkorb durfte nicht fehlen. Daneben gab es einen Stich von Schloss Arenenberg und einige expressionistische Neuheiten von der Höri. Viel zu schnell musste Funk seinen Abstecher gestalten, denn er wollte Lydia nicht warten lassen.
Ein kurzes Stück um die Ecke fand er auf einem Klingelschild den Eintrag J . Drohst, dessen Wohnung sich unter dem Dach befinden musste, wollte man der Reihenfolge der
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