Hafenweihnacht
– dieser aus Tausenden Glühlampen und ungezählten Litern Glühwein bestehende Exzess an Glücksgier, dieser emotionale Missbrauch einer romantischen Stadt- und Naturkulisse; und doch zwang die Hafenweihnacht alle in ihren Bann, selbst die nüchternen Gemüter, und bezähmte für kurze Zeit jene unstillbare Sehnsucht, der bekennende wie heimliche Romantiker nachjagten.
Für einen Augenblick spürte auch Schielin diese unschuldige Vorfreude. Dann kam ihm das Gesicht des Toten wieder in den Sinn.
Erfolgreicher war er mit seiner Frage nach dem Nachtportier. Herr Yilmaz war seit Kurzem wieder im Hotel und half gerade in der Wäschekammer mit aus. Man telefonierte und Schielin konnte in einer ruhigen, nach penibler Sauberkeit riechenden Kammer seine Fragen stellen. Yilmaz entschuldigte sich schon vorneweg bei Schielin. »Wissen Sie, ich habe den Blick nicht nach Süden raus, in Richtung Hafen und Berge … sieht man ja eh nicht in der Nacht. Ich sehe überwiegend auf den Bahnhofsplatz und rüber zum Bahnhofseingang. Was da vorne am Wasser vor sich geht, das kriege ich von hier gar nicht mit. Die anderen Hotels sind da sicher besser für Ihre Fragen. Da war aber nichts heut Nacht, das wüsste ich sonst schon.«
»Und am Bahnhof drüben, war alles wie sonst auch?«, fragte Schielin, um im Gespräch zu bleiben.
Herr Yilmaz stöhnte. »Also wenn der letzte Zug raus ist, kurz vor Mitternacht, dann ist da gar nichts mehr los. Jedenfalls nicht im November. Das ist dann wie toter Friedhof.«
»Mhm. Also, gar nichts.«
Der Nachtportier überlegte. »Gar nichts.«
Schielin schnaufte laut, fast klang es wie ein Stöhnen, und erhob sich vom Schemel, auf dem er gesessen hatte. »Hmm. Na ja, dann vielen Dank, Herr Yilmaz.«
Der blieb unschlüssig sitzen und war nicht, so wie es zu erwarten gewesen war, mit aufgestanden.
»Ist Ihnen doch noch etwas eingefallen? War doch etwas in der Nacht?«, fragte Schielin.
»Ja eigentlich war da nichts. Nur das Auto, das drüben am Bahnhof gestanden hat …«
»Was war so besonders an diesem Auto? Da stehen doch sicher mehrere Autos herum«, meinte Schielin auffordernd.
»Schon. Ist mir ja nur aufgefallen, weil alles schon so dunkel war und diese grellen, bläulichen Lichter an den Autos …«
»Xeon …«, ergänzte Schielin.
»Ja, genau. Es hat mich kurz geblendet, weil es sich in der großen Scheibe drüben am Bahnhof gespiegelt hat.«
»Ja, und weiter …«
»Es war ein Audi A6 Avant, quattro, ganz schwarz. Ist ziemlich schnell hergefahren, kurz nachdem ich hier alles übernommen hatte für die Nacht. Er hat da draußen geparkt, also der Fahrer. Ein Mann. Habe nur gesehen, wie er ausgestiegen ist, mehr nicht. Von der Bewegung her ein Mann, so wie man das eben feststellt. Es war ja auch eher so beiläufig.«
Schielin wusste nicht so recht, wie er helfend weiterfragen sollte, und beließ es vorerst bei einem »Mhm«.
»Er stand nicht lange dort, weil ich etwa eine halbe Stunde später das Schild mit der Tageskarte reingeholt habe, das ist draußen vergessen worden. Und da war er schon wieder weg.«
»Der Audi hat also von Mitternacht an knapp eine halbe Stunde da draußen geparkt, längstens eine halbe Stunde«, resümierte Schielin.
Mehmet Yilmaz verzog den Mund. »Das war etwas später. Mitternacht war schon vorbei.«
»Kennzeichen?«
Kopfschütteln.
Das Kennzeichen war ihm nicht in Erinnerung geblieben, aber eine Information schien er noch zu haben, denn er dachte angestrengt nach. »So gegen halb drei habe ich meinen Rundgang gemacht. Da stand er dann wieder draußen.«
»Dieser schwarze Audi A6?«, fragte Schielin ungläubig. »Ja.«
»Aber wenn Sie das Kennzeichen nicht wissen, wie können Sie dann sicher sein, dass es der gleiche Audi war? Haben Sie vielleicht den Fahrer erkennen können?«
Yilmaz schüttelte energisch den Kopf. »Nein, den Fahrer habe ich da, also beim zweiten Mal, gar nicht gesehen und das Kennzeichen auch nicht, ich könnte mir das sowieso nicht merken, Zahlen und so, aber Gesichter, Gesichter, die vergesse ich nicht. Nein, auf der Türe, also an der Seite, da war so eine Werbung, für das Internet, so eine Adresse. Also das war schon der gleiche Audi.«
»Und die Internetadresse?«
»Nein, habe ich mir nicht gemerkt. Meine Tochter, die hätte sie gleich in ihr Handy eingegeben, sofort.«
Schielin lachte. »Das kenne ich, ja, so eine habe ich auch zu Hause, immer das Ding in der Hand. Wie lange stand er denn dort, können Sie das
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