Hafenweihnacht
eingrenzen?«
»Wieder nicht lange. Um kurz nach drei Uhr kommen die Zeitungen, drüben für die Bahnhofsbuchhandlung und für uns. Da war er schon wieder weg. Ich weiß halt nur, dass der schwarze Audi zweimal in der Nacht bei uns vor der Türe stand, aber die Nummer oder so … nein … tut mir leid.«
»Das ist schon in Ordnung, aber noch eine Frage … Sie kennen ja viele der Gäste – haben Sie vielleicht einen Tipp für mich, wen ich befragen könnte, wer am ehesten noch etwas mitbekommen hat, in der letzten Nacht?«
Mehmet Yilmaz wiegte den Kopf. Schielin hatte Verständnis für sein Zögern und nahm ihm seine Bedenken. »Selbstverständlich wird niemand erfahren, wenn Sie mir einen Namen nennen könnten. Ich habe ja gar nicht mit Ihnen geredet, verstehen Sie?«
»Jaja, schon. Da ist seit einigen Tagen so ein Mann hier, im Hotel Seegarten drüben. Hat ein schönes Zimmer zum Hafen raus. Sitzt immer am Fenster und schaut raus auf den See. Ich habe ihn schon ein paar Mal im Hafen gesehen. Er fotografiert alles, einfach alles und nachts hat er lange Licht. Ist ein bisschen ein verrückter Kerl, denke ich so. Fragen Sie mal drüben nach.«
Schielin bedankte sich für den Hinweis und machte sich gleich auf den Weg. Vor dem Hotel blieb er stehen und sah hinüber zum Haupteingang des Bahnhofs. Die zwei mächtigen Platanen standen kahl und trotzdem wirkten sie noch achtungsgebietend und kraftvoll. Durch das bizarre Gewirr der Äste war der Blick auf den Volutengiebel des Haupteingangs frei – und auch auf die beiden mächtigen Skulpturen über dem Haupteingang, die den Tag und die Nacht symbolisierten und die große Bahnhofsuhr hielten. Tag und Nacht haben die Zeit im Griff – wie wahr, dachte Schielin und ging gedankenverloren weiter.
Vor der Rezeption des Hotels Seegarten traf er auf Lydia Naber und Robert Funk. Die beiden hatten nichts in Erfahrung bringen können, was weiterhalf. Robert Funk wollte sich nochmals eingehend mit dem Hotelpersonal befassen und Lydia entschied zusammen mit Schielin diesen Verrückten aufzusuchen.
*
An der Rezeption brachten sie heraus, dass es sich bei dem verrückten Kerl, der alles fotografierte, um einen gewissen Dr. Caspar Bleise handelte. Er befand sich auf seinem Zimmer und war bereit, einige Fragen der Polizei zu beantworten.
Von seinem Zimmer aus bot sich eine unerhörte Aussicht auf den Hafen und die Bergkette.
Sie saßen um einen kleinen runden Tisch. Dr. Caspar Bleise war um die vierzig, trug einen dunklen Anzug mit dicken, weißen Nadelstreifen, ein lilafarbenes Hemd mit grüner Krawatte und an seinem Handgelenk hing eine schwere goldene Uhr, die nicht so recht zu ihm passte.
Lydia Naber begann das Gespräch und wollte nicht sogleich mit dem Bericht über einen Toten beginnen. Der schräge Typ vor ihr weckte zudem das Interesse, zu erfahren, mit wem man es denn so zu tun hatte. Sie fragte zurückhaltend nach seiner beruflichen Beschäftigung.
Dr. Caspar Bleise saß aufgeregt auf seinem Stuhl. Seine Extremitäten, sein ganzer Körper, sie fanden nicht so recht zur Ruhe. Entweder zappelte er mit den Beinen, oder gestikulierte mit den Händen, vollzog dabei zeitgleich mit dem Kopf Bewegungen die entweder an rhythmische Tänze oder an aufgeregte Hennen erinnerten. Lydia Nabers Frage überhörte er.
»Polizei, Polizei, mhm, mhm. Habe das schon gehört, was da passiert ist und war ja nicht zu übersehen, dieser Auflauf, die vielen Leute heute Morgen da unten. Mensch, so was, so was. Schlimm, nicht wahr? Und was machen Sie jetzt?«
Schielin erklärte, es gehörte zu ihren Aufgaben als Ermittler, die Hotelgäste zu diesem Geschehen zu befragen, weshalb sie auch zu ihm gekommen seien.
Lydia Naber nutzte die Pause, die nach Schielins Erläuterung entstanden war, und nahm einen erneuten Anlauf. Sie fragte nach dem Grund seines Aufenthaltes in Lindau, und ob er hier einige Tage Urlaub verbringen würde.
Er bewegte seine Schultern, als wäre etwas verklemmt, rieb mehrfach an der Nase und räusperte sich unterdrückt, bevor er antwortete: »Urlaub, nein. Ich bin aus beruflichen Gründen hier.«
Na also, dachte sie. Jetzt war man auf einem guten Weg. Herummachen funktioniert bei dem Typen nicht, also direkt. Sie fragte knapp: »Was machen Sie beruflich?«
»Effizienzmanagement«, lautete die prompte Antwort, die von mehrfach bestätigendem Nicken begleitet wurde. Wieder griff er an die Nase und rieb.
Schielin wäre beinahe die spontane Frage herausgerutscht, was
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