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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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Nachfrage bei Taxi- und Busfahrern war ohne Ergebnis geblieben. Dass Jochen Drohst von jemandem abgesetzt worden war, hielt Schielin für unwahrscheinlich. Er sah hinüber zur Hafenmeile. Der Mangturm war ein Fixpunkt und ragte als schwarzer markanter Schatten empor. Die warmen Strahlen Tausender Glühlampen illuminierten Mauern und Türme und ihr sanft flutender Schein brachte das trübe Wasser zum Glänzen und Leuchten. Ja, es sah schön aus, dieses Glitzern, Schillern und Funkeln, und es war imstande jeden dunklen Ort zu verzaubern.
    Über dem Lichterschein lag der Geräuschteppich Tausender Menschen, ein Surren und Schwirren, das sich aus dem Gedränge zwischen den Buden erhob.
    Fast hätte es Schielin hinübergezogen, in die Wärme der Menge, in die Duft- und Genusswolken aus gebrannten Mandeln, Maroni und Glühwein, hinein in das Lachen und Johlen, in das vom Leuchten umspülte Wogen und Wallen.
    Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Eigentlich war er ja ein Typ, der es vermied, in größere Ansammlungen zu geraten, und nun übte gerade die Hafenweihnacht eine heimliche Versuchung auf ihn aus. Wenn Marja dabei gewesen wäre, oder einer von seinen Kollegen, dann wäre es etwas anderes gewesen.
    Die Gedanken hatten den Druck von ihm genommen. Er ging einige Schritte weiter und genoss die Kälte und seinen entfernten Beobachtungsposten. So viel Freude und Ausgelassenheit. Würde man jemals auf Weihnachten verzichten können? Niemals, da war er sich sicher, niemals. Denn es war völlig unabhängig von seiner religiösen Bedeutung ein Fest für die Menschen und eine Tradition, die für viele mit einer Fülle an guten Erinnerungen verbunden war. Ein Fest, welches zum Synonym für das Licht in der Welt, für Wärme und für Frieden geworden war. Und diese beseelten wie seligen Stimmungen und Gerüche würden den Menschen bis ans Ende ihrer Tage im Herzen und in der Seele guttun. Völlig gleich, was hier und dort geschehen mochte, wie schrecklich auch die Gier das Fest versuchte zu würgen und zu knebeln – Weihnachten war völlig unverzichtbar. Da war er sicher.
    Ein Raunen ging durch den gesamten Hafen. Vom Mangturm droben waren die Klänge der Turmbläser von der Musikschule Lindau zu hören. Die Hafenweihnacht war nun eröffnet.

    Als er die Insel verließ und über die Seebrücke fuhr, passierte er den Stau, der von der Zwanzigerstraße bis über die Seebrücke reichte. In den weißen Abgaswolken flammten die farbigen Lichter von Blinkern und Rückleuchten dramatisch auf. Wo wollten all die Leute noch hin – es war doch schon so voll im Hafen.

    Obwohl es schon dunkel geworden war, fragte Gommi, ob er noch mal einen Kaffee aufsetzen sollte, denn Kimmel hatte eine Besprechung anberaumt, die stattfinden sollte, sobald Wenzel mit den Obduktionsergebnissen von Memmingen zurück war. Vorher war an Feierabend nicht zu denken. Keiner hatte Lust auf Kaffee und Gommi widmete sich wieder seinen monströsen Tabellen.

    Die Strapazen des Tages hatten eine Ermattung aller bewirkt, die in dieser Phase des Wartens jedem spürbar wurde, und sie war hörbar an der Stille, die mit einem Mal in den Räumen waltete. Die ansonsten übertönten Geräusche der Computer, Drucker, Verteiler – dieses bedächtige Surren und Summen –, es trat nun hervor. Neben der Stille herrschte eine große Unlust zu reden, die ihre Ursache im Unvermögen hatte klare Gedanken zu fassen. Wer konnte, flüchtete in Routine, die der Müdigkeit weit längere Zeit standhalten konnte, als Dinge, die Kreativität erforderten.
    Lydia blickte stumm und nachdenklich auf die leuchtende Fläche des Bildschirms. Schielin fertigte Notizen.
    Nach einer ganzen langen Weile fragte er über die Schreibtische hinweg: »Du sitzt die ganze Zeit so still da – woran denkst du? An ein Motiv? Was jemanden bewogen haben konnte, diesen Mann zu töten?«
    Sie zeigte auf die Frage hin keine äußerliche Reaktion und ließ einige Zeit verstreichen, bis sie mit einem einleitenden, erschöpften Schnaufen antwortete: »Nein, nein, überhaupt nicht. Ich war in Gedanken ganz woanders, gar nicht bei diesem armen Toten und seiner noch ärmlicheren Wohnung und schon gar nicht bei der Frage nach einem Motiv. Weißt du, ich habe noch vier Plätzchenteige im Kühlschrank und hatte heute Abend eigentlich vorgehabt zu backen. Aber ich bin schon jetzt so müde, und so, wie sich dieser Fall entwickelt, weiß ich gar nicht wann und ob ich überhaupt dazu komme. Dabei hatte ich mich schon

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