Hafenweihnacht
Bankkarten läuft im System auf.«
»Ein Raubmord wäre also im Moment durchaus denkbar«, hakte Kimmel nach, der an die schmale Journalistin vom Radio dachte, mit der er telefoniert hatte und die sicher bald wieder ihre nervigen Fragen hinter einer ruhigen, freundlichen Stimme und blitzenden Augen versteckte.
Schielin hatte ganz bewusst vermieden, im derzeitigen Status Vermutungen anzustellen, weil sie zuvor noch mehr Informationen zusammentragen mussten und er sich nicht so früh festlegen wollte. Er verstand aber auch, worum es Kimmel ging, und bat darum den Begriff Raubmord zu vermeiden, weil das Mysteriöse des Falls, was in Todesursache und Fundort lag, damit in den Hintergrund träte.
Schielin wählte, kaum dass er zurück im Büro war, die Telefonnummer von Britta Drohst. Sie war im Moment die einzige Person, die ihnen weiterhelfen konnte, die ihnen weiterhelfen musste. Schließlich war ihr Bruder getötet worden.
Sie nahm schon nach dem ersten Klingeln ab. Eine dünne, und dennoch streng klingende Stimme war zu vernehmen. Sie sprach ein knappes und abweisendes »Ja«. Kein Name, kein Hallo, nur »Ja!«.
Schielin hielt die Vorstellung seiner Person kurz und fragte unumwunden, wann sie nach Lindau kommen würde. Die lange Pause, die entstand, machte deutlich, wie wenig sie sich mit dieser Frage befasst hatte, wenn überhaupt.
Schielin drängte. »Ihr Bruder ist getötet worden, es gibt viele Formalitäten zu erledigen und nicht zuletzt müssen wir mit Ihnen sprechen, hier in Lindau, vor Ort.«
Wieder dauerte es eine Weile, bis sie antwortete. Zögernd, so als überlegte sie noch während ihrer Worte, ob sie klug genug gewählt wären: »Ja, wissen Sie, ich … ich bin nicht ganz so flexibel. Ich besitze kein Auto und es wird doch dauern, die Anfahrt. Meinen Sie wirklich, dass meine Anwesenheit vor Ort erforderlich ist?«
»Das steht außer Frage. Sie müssen kommen«, ließ Schielin gar keinen Zweifel an seiner Forderung zu. »Es fahren genügend Züge von Ulm nach Lindau, stündlich. Wir erwarten Sie noch heute hier.« Seine Stimme hatte nun einen ungemütlichen Klang angenommen.
Sie lenkte widerstrebend ein. »Na gut, ich werde kommen.«
Anschließend wollte sie nochmals seinen Namen wissen und legte auf.
»Na gut, ich werde kommen «, wiederholte er an Lydia Naber gewandt, die dem Gespräch gelauscht hatte.
»Scheint ja ein nettes Mäuschen zu sein, die liebe Schwester. Bin mal auf ihren Typ gespannt. Sie kommt heute noch?«
Schielin nickte.
*
Wenzel war gleich nach der Besprechung auf die Insel gefahren. Er hätte schon viel eher von der Dienststelle fortkommen wollen, denn die Ergebnisse des Obduktionsberichtes hatten ihn die ganze Nacht beschäftigt. Aber gestern war es schon zu dunkel gewesen für eine sinnvolle Arbeit und der Wetterbericht hatte weiterhin Kälte gemeldet. Ein sicheres Erhaltungsumfeld für Spuren, sofern es welche gab.
Er stellte das Auto vor der Holzbaracke der Wasserschutzpolizei ab, die bereits informiert war. Über Funk hatte er von den Tauchern gehört, die bereits vor Ort waren. Er ging hinüber zu Platz 5, drückte ein paar Hände zur Begrüßung und schauderte, als er sah, wie die zwei Kollegen in die Trockenanzüge stiegen. Er blieb nicht vor Ort, da die beiden von Kimmel gut instruiert worden waren. Außerdem waren die Kollegen von der Wasserschutzpolizei mit dem neuen Hecht im Hafen und begleiteten die Aktion. Da die Feuerwehr noch einige Zeit brauchte, um mit dem kleinen Boot verfügbar zu sein, nutzte er die Zeit, um kurz drüben bei Dr. Zychner vorbeizusehen. Die wenigen Meter zum Brettermarkt hatte er schnell zurückgelegt und die Treppen stieg er inzwischen mit großer Vertrautheit nach oben. Seit er während der Ermittlungen für einen der letzten Fälle auf gleichsam überraschende wie für ihn erschreckende Weise auf seinen ehemaligen Lehrer gestoßen war, hatten sie beide diesen merkwürdigen Kontakt nicht abreißen lassen und im Laufe der Zeit war ein Band der Vertrautheit zwischen ihnen entstanden. Aus einer gewollten Regelmäßigkeit der jeweiligen Treffen hatte sich ein festes Termingefüge entwickelt. Wenzel hatte Lydia Naber immer ein wenig um dieses Fräulein Seidl beneidet, denn ihren Erzählungen und Berichten hatte er entnehmen können, dass es wohltuende Begegnungen waren. Und die enge Vertrautheit, gar die späte Freundschaft, mit einem Menschen, der dem eigenen Sippenverband nicht zugehörte, befreite einen von falschen Rücksichten
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