Hafenweihnacht
dem Hafen und dem See wies.
»Eine sehr angenehme Arbeitsumgebung«, würdigte Schielin und bedankte sich für den Kaffee, den eine Angestellte auf den schwarzen Glastisch stellte, um den die bequeme Ledergarnitur postiert war.
Adrian Zuger nahm es lächelnd zur Kenntnis.
Schielin hatte eine intensive Stille wahrgenommen, als er durch die Flure gelaufen war. Mit großer Konzentration saßen die Menschen vor ihren Bildschirmen und selbst von den Tastaturen kam kein entnervendes Klacken.
»Am Firmenschild steht unter Ihrem Firmennamen noch der Begriff Business Intelligence «, begann er unverbindlich, »das klingt nach viel und sagt mir doch relativ wenig. Worum geht es dabei genau, woran arbeiten Sie hier?«
Adrian Zuger saß locker auf der Ledercouch gegenüber und hielt seine Tasse Cappuccino in der Hand. Er erklärte ohne Anflug von Langeweile und stellte auch keine neugierige Frage, weshalb die Polizei ausgerechnet ihn aufsuchte, um etwas über Jochen Drohst zu erfahren. Er nahm sich Zeit. »Es handelt sich dabei um einen Teil eines ERP-Systems, das wiederum steht für Enterprise-Resource-Planning. Man könnte es auch als Unternehmensressourcenplanung bezeichnen, aber die deutschen Worte sind immer so lang und klingen besonders umständlich in einer Welt der Abkürzungen, zumal in einer Welt, in der Englisch die Sprache der Beteiligten ist. Wir entwickeln hier Software … komplette Softwaresysteme, deren Funktion darin besteht, die unternehmerische Aufgabe der in einem Unternehmen vorhandenen Ressourcen wie Kapital, Betriebsmittel oder Personal möglichst effizient für den betrieblichen Ablauf einzusetzen. Konkret wird mit unserer Software die Steuerung von Geschäftsprozessen optimiert. Unsere Software zielt auf die Mitarbeiter direkt ab. Es ist ja nun kein Geheimnis mehr, dass Erfahrung, Qualifikation, Engagement und Wissen der Mitarbeiter die wichtigsten Vermögenswerte eines Unternehmens darstellen. Und mit unserem System wird dieses Kapital eingeordnet, um die Leistungsstärke des Unternehmens bewerten und vergleichen zu können. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat dafür das Ratinginstrument HPI Human Potential Index vorgestellt.«
Schielin war ihm mit aufmerksamer Miene gefolgt und war in Gedanken doch bei Gommis verrückten Exceltabellen gelandet, die er für die Kemptener ausfüllen musste. Ein Wirrwarr aus Zahlen verteilte sich über die Zeilen, Spalten und Zellen und ganz am Ende einer Spalte kam eine Zahl zustande, eine Zahl mit drei Kommastellen. Der Human Potential Index von Wenzel, von Ronsard, der von Kimmel, von Hundle und der von ihm selbst. Sein ganzer Wert als Kriminalhauptkommissar in einer Zahl. So stellte er sich das vor.
Er hörte sich sagen: »Oh, das klingt sehr interessant. Human Potential Index. Ich würde das mit Menschliche Potenzialbewertung übersetzen.«
Adrian Zuger verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Miene. »Sehen Sie, so ist das mit dem Deutschen. Das klingt dann sofort so streng.«
Schielin lachte. »Na ja. Vielleicht macht diese Übersetzung die Dinge auch deutlich sichtbar, so wie sie ihrem Wesen nach sind, und das kann ja durchaus unangenehm sein?«
Adrian Zugers Augen blitzten kurz auf. Dieser Polizist war ernst zu nehmen. Viele Fragen sollte er nicht stellen und er würde ihm viel erzählen, denn reden war er gewohnt und am allerliebsten redete er über die Dinge, mit denen er sich auskannte. Solange er reden würde, konnte dieser Polizist nicht reden und fragen und unangenehm werden. Er hatte schon einige Male von diesem Schielin gehört und gelesen. Jetzt saß er da vor ihm so unspektakulär und bescheiden und das machte ihn gefährlich, elend gefährlich. Diese Unaufdringlichkeit, diese gelassene Gestalt mit den entspannten Gesichtszügen. Unter dem weiten Pullover und den bequemen Kordhosen befand sich ein sportlicher Körper und hinter den treuen Augen ein wacher Geist. Das hatte Adrian Zuger sofort erkannt. Er lehnte sich gelassen in das weiche Kissen des Ledersofas zurück. Er wollte genauso entspannt und gelassen erscheinen wie dieser Schielin. »Wenn es Führungskräften gelingt, die Qualitäten der Mitarbeiter optimal zur Geltung zu bringen, tragen sie unmittelbar und messbar zum Unternehmenserfolg bei. Bisher werden ja ausschließlich quantitative Messgrößen wie Löhne und Gehälter der Mitarbeiter oder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden als Basis für Personalentscheidungen herangezogen. Aber es existieren doch so viele
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