Hafenweihnacht
herunter. Sie hörte darin auch eine gewisse Schadenfreude über ihre Aufgeregtheit. Sie hätte schimpfen mögen vor Zorn über sein illoyales Verhalten. Es waren noch nicht einmal Schritte von oben zu hören. Er blieb einfach sitzen. Sie stieß ein schrilles »Komm jetzt!« hervor und sprang in die Küche, um sich die Hände zu waschen, an denen eine schwarze Schicht vom Silberreinigen pichte. Schon klingelte es an der Tür. Sie verspürte auf einmal Durst und ließ Wasser aus dem Hahn in ein Glas laufen, trank es hektisch aus und wischte mit dem Handrücken über den Mund. Ihr Herz pochte. Sie hörte die dumpfen Schritte ihres Mannes auf der Treppe, der sich endlich bewegte, um die Tür zu öffnen. Für einen Moment musste sie sich an der Küchenzeile anlehnen. Ein Schwindel hatte sie erfasst. Dann ging sie langsam zur Tür.
Im Wohnzimmer kam ihr die Blonde entgegen, die heute kein freundliches Lächeln aufgesetzt hatte, sondern ernst dreinblickte, sie kühl begrüßte, und auch ihr Kollege wirkte ganz anders als beim letzten Mal. Das Gespräch fand wieder am Esstisch statt.
»Es geht Ihnen gut?«, fragte die Polizistin und sah ihr eindringlich und unverblümt ins Gesicht.
Sie empfand es als Unhöflichkeit und es verunsicherte sie. »Natürlich.« Sie wischte sich mit der Hand über die Nase und schüttelte den Kopf in einer abweisenden Geste.
Lydia Naber lächelte jetzt bitter. Frau Savatzki ging es also schlecht. Eine gute Grundlage für das Gespräch.
»Bei unserem letzten Gespräch haben Sie uns nicht alles über die Familie Drohst erzählt«, meinte Lydia Naber und senkte Stimme und Kopf dabei.
Frau Savatzki sah ihren Mann entrüstet an. Sie antwortete schnippisch: »Vielleicht haben Sie nicht die richtigen Fragen gestellt?«
Robert Funk stellte knapp fest: »Sie wollten das Haus kaufen und hatten diesbezüglich mit Jochen Drohst Verhandlungen begonnen?«
Sie schluckte. »Ja, gut. Aber das ist ja nun auch nicht verboten, nicht wahr.«
»Jochen Drohst ist in der Nacht von Donnerstag auf Freitag im Lindauer Hafenbecken tot aufgefunden worden«, stellte Lydia Naber sachlich fest.
Es brauchte eine Weile, bis das Ehepaar Savatzki den Inhalt der Nachricht verstanden hatte. Er reagierte zuerst. »Was? Jochen Drohst ist dieser Tote, von dem im Radio berichtet wurde?«
Seine Frau legte eine Hand an ihren Mund. »Ja, aber … aber Sie denken doch nicht etwa …«
Robert Funk blieb bestimmend. »Beantworten Sie unsere Fragen bitte, denn wir gehen davon aus, dass der Einbruch in Zusammenhang mit dem Tod von Jochen Drohst steht. Wir haben von einer religiösen Vereinigung oder Sekte gehört. Sie beide standen auch in Kontakt zu dieser Gruppe. Es soll da einen Prediger geben. Wie heißt er, wo ist er zu erreichen, was gibt es über die Streitigkeiten das Erbe betreffend zu berichten?«
Herr Savatzki blieb völlig gelassen, während seine Frau einen halb erschrockenen, halb erschöpften Laut von sich gab.
Er antwortete: »Es ist richtig, dass wir vor vielen Jahren Kontakt zu einer religiösen Vereinigung hatten. Ihr Vorsteher ist Gotthold Rohner, ein Pfarrerssohn aus dem Badischen. Es war überhaupt nichts für uns und unsere Kinder. Rohner hat sehr eigenwillige Ansichten. Drohst ist zu der Zeit zu den Gerechtfertigten, wie Rohner sie nannte, gestoßen, als wir uns entfernten. Eine gute Entscheidung.
Drohst war sehr militant in der Umsetzung von Rohners Gedankengut. Der wohnt, soweit ich das richtig erinnere, in Markdorf. Ich habe ihn vor einigen Wochen einmal hier gesehen. Was den Hauskauf angeht: Meine Frau ist mit Jochen Drohst in Kontakt getreten, weil sie der Meinung ist, es wäre schön, wenn unser Sohn mit seiner Frau dort einziehen, und in meine Kanzlei eintreten würde. Ich persönlich bezweifle, dass unser Sohn in unserer Nachbarschaft wohnen möchte, und ich bezweifele auch, dass er als mein Nachfolger in meine Kanzlei eintreten möchte. Um meine Tätigkeit genauer zu beschreiben: Ich bin Anwalt und berate Unternehmen. Meine Kanzlei ist in guten Händen, und dass mein Sohn sich in anderem Umfeld wohlfühlt, finde ich gut. Wäre es mit dem Kauf dieses schrecklichen Hauses da unten ernst geworden, hätte ich das zu verhindern gewusst. So viel dazu. Was die Streitigkeit über das Erbe in der Familie Drohst angeht, so kann ich Ihnen dabei leider nicht weiterhelfen. Ich habe davon nichts mitbekommen. Mir ist aber bekannt, dass Rohner in gleichem Maße rührig wie auch energisch vorgeht, wenn es um die
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