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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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gefreut, der ihm einen blau leuchtenden See präsentieren sollte, in welchem sich die Sonne gleißend spiegelte, um die Bergkulisse damit noch majestätischer und entrückter in Erscheinung treten zu lassen. Und nun – nichts von allem. Eine undurchdringliche Suppe, dazu diese nasse Kälte, die in die Fingerspitzen biss, und diese fremde Welt um ihn herum.
    Es war wie mit dem Fall Drohst, in dem die Ermittlungen in Nebelfeldern verlief und ihnen das Leben des Opfers nichts Greifbares lieferte. Ihre wenigen Erkenntnisse waren wie Ruinen, die ebenso geisterhaft aufschienen wie die Figuren der Bäume rund um ihn. Wie konnte ausgerechnet der Geheimdienst Zugang zu Drohst gefunden haben?
    Ronsard verlangsamte den Schritt, denn die groben Kiesel auf dem Abstieg hinunter in den Tobel waren rutschig und manche lockerten sich unter der Belastung. Schielin griff seinem Esel mit der Hand in das weiche Fell hinter den Ohren und kraulte ihn, und als der stehen blieb, kratzte er ihm den Nasenrücken, dazu die Seite des gierigen Mauls, das sich drängend gegen Schielins Bauch drückte. Längst hatte der Lump die Leckerei gerochen, die sich unter der Jacke verbarg, und er wusste auch, welche erfreulichen Möglichkeiten bestanden, wenn der stete Fluss eines Spazierganges erst einmal unterbrochen war. Ein idealer Zeitpunkt, gut, um zu betteln. Eine erste große Topinambur gab es sofort.

    Vorsichtig stiegen sie in den Tobel hinunter, wo der Nebel zwischen den Bäumen zwar lichter war, sich aber eine scheußliche Kälte gehalten hatte. Es war ein Eiskeller. Schielin hatte auf Handschuhe verzichtet und zog nun die Ärmel seiner Jacke mit den Fingern nach vorne, um in den Stoffzipfeln die blanken Hände zu schützen. Ronsard trottete scheinbar zufrieden den bekannten Weg entlang. Kein Laut war zu hören, nur das verhaltene Plätschern des dünnen Rinnsals, das sich durch Eisplatten schlängelte.
    »Also, Geheimdienst«, sprach Schielin zu Ronsard und dachte laut weiter: »Was sollten gerade die mit der Sache zu tun haben. Alles am Tatort spricht dagegen – die Emotionalität, der Ort, die Zeit. Denen hätte ich vielleicht einen schlampig fingierten Suizid zugetraut. Und er war niemals der Typ für Geheimdienste; hatte keine Schwächen: Geld war genug da, er brauchte keinen Luxus, war kein Spieler, hatte keine Schulden, kein Ideologe, kein Frauenheld, so wie du, mein Lieber. Er hatte keine klassische Schwächeschnittstelle, hatte sich keiner Ideologie verschrieben und war dazu ein inkompatibler, unzugänglicher, schwieriger Mensch.«
    Ronsard ließ seinen Kopf weit hinab zum Boden hängen und schlenkerte bei jedem Schritt weit ausladend. Schielin rückte nah an seine Seite heran, denn sein Körper strahlte eine wohltuende Wärme ab.
    »Na, wenn dir nur mal nicht schlecht wird, mit deinem Getänzel, mein Freund. Da kommt heute noch was auf dich zu, auf der Insel. Wirst gute Nerven brauchen, und ich auch.«
    Seine Gedanken kreisten weiter um Drohst. Dessen Wissen und mathematische Fähigkeit wären schon interessant gewesen. Aber das erschloss sich ja auch über diese Firma BIS. Ihn selbst brauchte man nicht. Schielin wendete sich wieder Ronsard zu. »Auf der anderen Seite … es könnte auch was schiefgegangen sein, oder … vielleicht konnte Drohst inzwischen schwimmen und ist wieder aus dem Wasser herausgekommen … Mhm … Nein. Auch dann wäre das mit der Hand einem halbwegs abgebrühten Menschen, der weiß, was er tun will, nicht passiert. Niemals. Wenn ich mich in diese Nacht versetze, dann spüre ich die Kälte, so wie sie uns jetzt zusetzt, dieses eisige Wasser und die Verletzungen, die er hatte. Nein, mein Freund, ich spüre doch – es war keine kühle Tat in einer kalten Winternacht, nein, das Fiebrige des Geschehens dringt aus allen Fakten. Fiebrig, ja. Es war eine fiebrige Tat. Kein Geheimdienst, kein Dieb – es gab einen Grund, Ronsard. Es gab einen guten Grund für den Täter sich gehen zu lassen. Es war ein menschlicher Mord, sozusagen.«
    Ronsard hob den Kopf und schwenkte die Ohren. Ein Bussard hatte über ihnen geschrien. Angenehm heißer Atem drang aus Ronsards Maul und streifte Schielins halb versteckten Handrücken. Der blieb stehen und lauschte, während er seine Hände in Ronsards Atem hielt; der stupste und schnüffelte aufdringlich. Die Topinambur war gut gewesen.
    Es würde einige Zeit dauern, bis der Nebel verschwunden war und Schielin überlegte, welchen Weg er zur Insel nehmen sollte. Er entschied sich für

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